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Was hat die bloß geritten? In Cranachs Illustration zu Luthers „Neuen Testament“ von 1522 trägt die babylonische Hure die Tiara des Papstes.

© Herzog August Bibliothek

Martin Luther-Ausstellung in Wolfenbüttel: Der Stoff, aus dem die Anekdoten sind

Von Luthers Löffel und Humpen bis zu Bildnissen von Künstlern: Die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel zeigt Reformations-Devotionalien.

Er ruht in Frieden. Sein rundliches Gesicht wirkt entspannt, zeigt kaum Falten. Der Mund ist geschlossen, die breite Nase ließe sich als „energisch“ beschreiben. Die mandelförmigen Augen blicken ins Nichts. Als Martin Luther 1546 bei einem Besuch in seiner Geburtsstadt Eisleben starb, war er 65 Jahre alt, verehrt, verachtet und weltberühmt. Dass der Tod plötzlich und offenbar wenig schmerzvoll über ihn kam, deuteten seine Anhänger als Indiz der Gottgefälligkeit.

In der Ausstellung „Luthermania“, dem Beitrag der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel zum Reformationsjahr, liegt die Totenmaske neben einem Bild mit dem Titel „Luther im Tode“. Dort wirkt sein Gesichtsausdruck verbissen, man glaubt dem Toten den Kampf gegen das Sterben anzusehen. Der Kupferstich von 1746 geht auf eine Zeichnung zurück, die direkt am Totenbett entstanden sein soll.

Die Legenden haben das Leben des Mönchs überwuchert

Martin Luther ist, noch vor Päpsten und Kaisern, der meistabgebildete Mensch des 16. Jahrhunderts. Trotzdem fällt es schwer, seine Gestalt zu fassen zu bekommen. Legenden haben das Leben des Mönchs, der zum Rebellen wurde, überwuchert.

Die Totenmaske, die das Museum zeigt, wurde wahrscheinlich im 19. Jahrhundert für den Handel hergestellt. Mit Luthers Physiognomie dürfte sie nur wenig tun haben. Es handelt sich um eine Skulptur, ein Heldenporträt. Denn von der Abnahme einer solchen Maske berichtet keine zeitgenössische Quelle. Doch 200 Jahre nach dem Tod des Reformators kursierten bereits mehrere Exemplare. In der 1572 gegründeten Bibliothek, an der Leibniz und Lessing als Bibliothekare arbeiteten, wurden Besuchern stolz solche angeblich authentischen Reformations-Devotionalien präsentiert.

Luthers Löffel, Luthers Humpen, das Tintenfass, mit dem er auf der Wartburg nach dem Teufel warf, oder seine von Dürer geschmiedeten Eheringe bezeugten als „Rarität von Luthero“ sein irdisches Lebens. Der Stoff, aus dem die Anekdoten sind. Auch ein vermeintliches Stück aus seinem Rock, natürlich schwarz, wie es sich fürs Gewand eines Priesters gehört, ist in der Ausstellung zu sehen. Zeit seines Lebens bekämpfte der Kirchenerneuerer die Heiligenverehrung und das Recht des Papstes, Heilige zu ernennen.

Goethe entwarf für den Bibelübersetzer ein Denkmal

Doch nach seinem Tod wurde er selber zum Heiligen verklärt und „Sanct Lutherus“ oder „heiliger Mann Gottes“ genannt. Das Volk wollte sich die Frömmigkeit nicht nehmen lassen. Seit der Zerstörung der Sammlung der Berliner Staatsbibliothek im Zweiten Weltkrieg besitzt die Wolfenbütteler Bibliothek weltweit die meisten zeitgenössischen Lutherdrucke. Abgesehen von den Bibelausgaben, so Kurator Hole Rößler, verfügt sein Haus über fast 65 Prozent aller Ausgaben, die bis zu Luthers Tod herauskamen.

Sie bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung, zusammen mit Flugblättern, die den Reformator – je nach Glaubensbekenntnis von Künstler und Auftraggeber – als direkt von Gott entsandten Heilsbringer oder als Teufel in Menschengestalt abbilden. Auf einem Kupferstich von 1628 schiebt Vielfraß „Marthin Luther“ seinen Bauch auf einer Schubkarre vor sich her, auf dem Rücken trägt er Mitstreiter wie Melanchthon und Calvin in einer Kirche. Die ausgemergelte Katharina von Bora schleppt ihm ein Kind hinterher. Der berühmte Holzschnitt „Sieben Köpffe Martini Luthers“, 1529 vom ehemaligen Luther-Anhänger Johannes Cochlaeus veröffentlicht, zeigt Luthers Verfehlungen in siebenfacher Missgestalt. Das Haupt eines Osmanen steht für den Falschgläubigen, ein von Bienen umschwärmter Lockenkopf für den „Schwirmer“, Schwärmer.

Luther ist für sein Starkdeutsch bekannt, doch auch seine altkirchlichen Kontrahenten waren Meister der direkten und derben Rede. Auf dem Blatt „Luthers und Lutzbers entrechtige vereinigung“ von 1535 reicht der Reformator einer grotesken Teufelsfigur (Lutzber = Luzifer), halb Löwe und halb Gans, die Hand zum Pakt. Ein Doktor Faustus aus Wittenberg. Was Goethe wohl dazu gesagt hätte? Er hielt den Bibelübersetzer für einen nationalen und kirchlichen Heros und entwarf – mit der Zeichnung beginnt die Ausstellung – ein Denkmal für ihn. Es sollte Luther gemeinsam mit dem Apostel Paulus und den Kirchenvätern Augustinus (West-) und Athanasius (Ostkirche) verherrlichen.

Luther wurde posthum zu einer Art Popstar

Aufgebaut ist die Ausstellung im Allerheiligsten der schlossgroßen Bibliothek, zwischen den 135 000 meist in weißem Pergament gebundenen Bänden der Bibliotheca Augusta, die Herzog August der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg bis zu seinem Tod 1666 zusammentrug. Der welfische Herrscher, der seine Bestände in einem Bücherradkatalog eigenhändig erfasste, war sicher biblioman, vielleicht auch lutheroman. Der Ausstellungstitel „Luthermania“ verweist auf die Popbegeisterung der Zeit nach den Beatles. Dass Luther im Laufe seiner posthumen Würdigung zu einer Art Popstar wurde, ist 500 Jahre nach dem Thesenanschlag keine neue Erkenntnis. Aber so konsequent durchbuchstabiert wie in Wolfenbüttel wurde sie noch nie.

„Luthermania“ präsentiert den Protagonisten in vier Rollen: als Heiligen, Teufel, Marke und Deutschen. Zur Markenbildung gehört eine Lochpause, mit der die Werkstatt von Lucas Cranach ein Brustporträt von Luther in großer Auflage herstellen konnte. Der Reformator selber legte sich sein Wappen zu, die „Lutherrose“, um sie als Schutzmarke zur Signatur seiner Bücher gegen Raubdrucke zu benutzen. Und überaus deutsch war Luther in den Augen seiner späteren Bewunderer sowieso. Das 19. Jahrhundert setzte ihn auf einem Stahlstich unter einen von Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaum, umgeben von seiner Kleinfamilie. Stille Nacht.

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, bis 17. April. Katalog 39,80 €.

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