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Martina Löw, Soziologin: "Was Berlin ist, bleibt unklar"

Die Soziologin Martina Löw über urbane Werbestrategien, warum Berlin eine unsichere Stadt ist und der Beschluss, die Fassade eines verschwundenen Schlosses wieder nachzubauen, fatal ist.

Frau Löw, wir telefonieren miteinander, Sie sind in Frankfurt, ich in Berlin. In Ihrem Buch „Soziologie der Städte“ schreiben Sie, dass jede Stadt über eine bestimmte Gefühlsstruktur verfüge. Wie unterscheiden sich Frankfurt und Berlin?

Berlin ist eine Stadt, die sehr unsicher ist in dem, was sie ist, eine Stadt, die sich stark auf die Teilung bezieht. Beide Faktoren führen dazu, dass die Frage, wie Berliner ihre eigene Stadt erleben, immer wieder zur Diskussion steht und bis in die Marketingkampagnen hineinwirkt. In der neuen Kampagne von Wowereit, „Be Berlin!“, werden die Bürger aufgefordert, sich mit ihrer Stadt zu identifizieren. Das ist ein Ausdruck dieser Unsicherheit. Für Frankfurt liegen noch keine Studien vor.

Aber Postkarten. Sie haben Postkartenmotive unterschiedlicher Städte verglichen. Auf der von Frankfurt sieht man Hochhäuser, die über eine raffinierte Lichtstrategie mit einem Ausschnitt der Alten Oper in Beziehung gesetzt werden.

Das ist eine typische Weise, Frankfurt darzustellen: die Verbindung von Alt und Neu. Die Münchner lassen dagegen hinter der Feldherrenhalle die Berge emporsteigen. München zeigt sich gern landschaftlich eingerahmt. Frankfurt findet erst im Himmel seine Grenzen.

Auf der Hamburger Postkarte sieht man Segler auf der Alster und im Hintergrund elegante Altbauten.

Ja, Hamburg will als Ort gesehen werden, der Stadt und Wasser verbindet.

Sie beschreiben, dass die Städte heutzutage in einem starken Konkurrenzkampf zueinander stehen. Warum?

Man kann für alle historischen Epochen nachweisen, dass Städte in Konkurrenz zueinander standen, nur hat dies in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Die Gründe dafür sind erstens Globalisierungsprozesse: Man reist viel häufiger in andere Städte und stellt dadurch stärkere Bezüge zwischen den Städten her. Es entsteht die Frage: In welche Stadt fahre ich? Der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen für die Städte, also müssen sie um Besucher werben. Zudem schrumpfen Städte, was aggressive Werbekampagnen nach sich zieht, um Einwohner zu halten.

Sie sprechen auch von einer „Eigenlogik“ der Stadt. Was ist darunter zu verstehen?

Damit meine ich das Phänomen, dass Städte sich auf die Bewohner auswirken. Dass es Strukturen in jeder Stadt gibt, die in spezifischer Weise das Leben in dieser Stadt prägen. Menschen verändern sich also, je nachdem, in welche Stadt sie ziehen. Eigenlogik fasst das Phänomen, das wir aus dem Alltag alle kennen, nämlich dass Duisburg anders ist als Paderborn und anders als Nürnberg. Dieses andere versuche ich über den Begriff der Eigenlogik als etwas zu beschreiben, was sich in die Körper einschreibt, in die Handlungen hineinwirkt und immer wieder reproduziert wird – manchmal über Generationen hinweg.

Unbewusst?

Ja. Ich wäre ein anderer Mensch, würde ich statt in Frankfurt in Leipzig leben. Auch bestimmte soziale Phänomene wie Kindheit, Homosexualität, Armut wirken sich inStädten unterschiedlich aus.

In Ihrem Buch lernt man, dass „Lust“, „Spaß“ und „Arroganz“ am häufigsten in Hamburg in Internetsuchmaschinen eingegeben wird. Berliner interessieren sich besonders für „Faulheit“ und „Kultur“. Sind das Folgen der Eigenlogik?

Wir sind erst dabei, die Methoden auszuarbeiten, um Eigenlogik zu erfassen. Dabei werden gezielt Städte in den Bereichen Architektur, wirtschaftliche Aktivitäten, Politik, Literatur und Marketingstrategien verglichen. Was gibt es für Jugendkulturen? Wie unterscheiden sich Städte als Schauplätze von Krimis? Nur wenn in all diesen Bereichen wiederkehrende Muster zu finden sind, können wir von einer Eigenlogik sprechen. Es gibt erste interessante Ergebnisse. Rostock arbeitet daran, mit den Bürgern für die Zukunft etwas zu verwirklichen. Bremerhaven setzt ganz stark darauf, dass Hilfe von außen kommt.

Das heißt, in Bremerhaven wirkt eher ein untergründiges Muster der Passivität, und in Rostock herrscht ein Geist der Eigeninitiative, der gewissermaßen nach mir greift, sobald ich in diese Städte ziehe?

So ungefähr. Ein gutes Beispiel ist der Christopher Street Day, der oft von Studenten organisiert wird, die meistens gar nicht aus der jeweiligen Stadt kommen. Trotzdem fügen sie sich schnell in das Grundmuster der Stadt ein. Sie organisieren den CSD in Köln wie Karneval, und in Berlin organisieren sie ihn anders, zwei CSDs, der eine konsumorientiert, der andere sehr politisch.

In Berlin ist jetzt eine Diskussion um die Altstadt ausgebrochen. Ich war überrascht, bei Ihnen zu lesen, dass die Altstadt eine ziemlich neue Erfindung ist.

Erst in der modernen Stadt spricht man von einer Altstadt und meint damit etwas Positives. In Kürze erscheint eine interessante Studie von Gerhard Vinken, in der gezeigt wird, dass die Altstadt die Zone in der Stadt ist, die wir für ihren wahren Kern halten. In der Altstadt vermuten wir die Tradition und die Identität einer Stadt, dabei wird die Zone in der modernen Stadt hergestellt wie andere Zonen auch. Es ist daher eine Illusion zu glauben, dass in der Altstadt das Eigene sitzt.

In Berlin scheint auch regelrechte Sloganpanik zu herrschen. 2004 startete eine Kampagne mit dem Spruch „Mir geht’s Berlin!“. Jetzt heißt es: „Be Berlin!“ Zwischendurch hat Klaus Wowereit noch „Arm, aber sexy“ ins Spiel gebracht.

Es gibt da in der Tat große Diskrepanzen zu anderen Städten. Während in München selbstbewusst etwas angeboten werden kann, Liebe nämlich in dem Spruch „Munich loves you“, müssen in Berlin die Bewohner erst aufgefordert werden, sich überhaupt als Berliner zu fühlen. Was Berlin ist, bleibt unklar. Mir scheint, dass die, die diesen Slogan gewählt haben, ein gutes Gespür dafür haben, dass es einen Bruch gibt zwischen dem, was die Leute empfinden, und dem, was die Stadt ausmachen könnte. Da gibt es keine Einheit. Für die Zukunft aber, auch um sich im Städtewettbewerb zu bewähren, braucht es eine Vorstellung davon, was die Stadt zusammenhalten kann. Wobei man in Berlin auch immer ganz schnell sein will, prozesshaft orientiert ist und nicht abwarten kann, sondern immer schon den nächsten Schritt machen möchte.

Vor kurzem wurde der Siegerentwurf des Berliner Stadtschlosses präsentiert. Was sagt der Beschluss, die Fassade eines verschwundenen Schlosses nachbauen zu lassen, über die Väter dieser Stadt?

Die Stadtväter setzen nicht auf die Zukunft, sondern suchen Selbstvergewisserung und Hilfe in der Vergangenheit. Das ist eine fatale Entscheidung.

Das Gespräch führte Andreas Schäfer. Martina Löws Buch „Soziologie der Städte“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen. 292 S., 22,80 €.

Martina Löw lehrt

seit 2002 Soziologie an der TU Darmstadt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gesellschaftsanalyse,

Stadtsoziologie

sowie Frauen- und Genderforschung.

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