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Kultur: Massimo Vitali: Träume von der kleinen Freiheit

Schöne, schaurige Strandwelt: gebräunte Leiber dicht an dicht, grellgrüne Sonnenschirme und pinkfarbene Picknicktaschen, das Wasser eine milchige Brühe, am Horizont die Silhouette eines Kraftwerks. Und dennoch herrscht heitere Stimmung; die an den Strand geeilten Städter genießen ihr fragwürdiges Freizeitvergnügen.

Schöne, schaurige Strandwelt: gebräunte Leiber dicht an dicht, grellgrüne Sonnenschirme und pinkfarbene Picknicktaschen, das Wasser eine milchige Brühe, am Horizont die Silhouette eines Kraftwerks. Und dennoch herrscht heitere Stimmung; die an den Strand geeilten Städter genießen ihr fragwürdiges Freizeitvergnügen. Massimo Vitali hat dieses Treiben von einer erhöhten, im Wasser stehenden Plattform aus verfolgt, um nach Stunden in einem unbeobachteten Moment sein Foto zu schießen.

Mit diesen Bildern hat es der aus Como stammende Fotokünstler zu Anerkennung gebracht, wird auf Ausstellungen herumgereicht, zur gleichen Liga wie Andreas Gursky und Jeff Wall gezählt (nicht zuletzt wegen seiner ähnlich großen Formate von 150 mal 180 Zentimetern) und hat für diesen Sommer von Harald Szeemann eine Einladung nach Venedig zur Biennale erhalten. Zuvor aber zeigt die Berliner Galerie Arndt + Partner unter dem Titel "All Too Human" die erste Einzelausstellung des 57-jährigen Italieners in Deutschland - mit bisher unveröffentlichten Motiven aus den Jahren 1995 bis 1998 (zwischen 17 000 und 20 500 Mark).

Doch Vitali wird man immer wieder erkennen. Er hat jenen lakonischen, beobachtenden Blick, der sich erst beim zweiten Hinsehen als komplexe soziologische Studie des Freizeitverhaltens seiner Landsleute erweist - an der Schwelle zwischen individuellem Unabhängigkeitsbedürfnis und Massendisziplinierung. Wie die plein air-Maler der Jahrhundertwende sucht Vitali jene Orte auf, wo die zwangskasernierten Städter ihr kleines Stückchen Freiheit zu finden glauben. Das kann am Strand oder in der Disco sein, wo Vitali in ähnlichen Panoramaaufnahmen selbstvergessene jugendliche Tänzer festhielt.

Dieser Blick ist jedoch nie zynisch. Vitali hält in seiner distanzierten Stellung viel zu viel Abstand zum Geschehen, um Position beziehen zu können. Ähnlich wie seine Motive befindet er sich in einer Schwellensituation: nicht kommentierend, sondern konstatierend. Mag sein, dass diese Zwitterstellung durch seinen Entwicklungsweg bedingt ist: Zum Fotografen am Londoner College of Painting ausgebildet, zog es ihn zuerst als Bildreporter in die Krisengebiete. Dann wechselte er als Kameramann zum Werbe- und Spielfilm, um sich seit Anfang der neunziger Jahre ausschließlich der freien Kunst zu widmen. Er scheint, als habe Vitali schon alles durchs Objektiv gesehen.

Nun ist er wieder zurückgekehrt an die benachbarte Badebucht, in die nahegelegene Disco, wo sich die Träume seitdem kaum geändert haben. Der Betrachter seiner Bilder sieht darin jedoch immer auch schon das spätere Erwachen.

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