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Massive Attack und Japan: Die Musik zur Katastrophe

Massive Attacken auf das Fernseh-Publikum: Reichen die Emotionen, die von den Bildern aus Japan ausgelöst werden, einigen Fernsehmachern nicht? Muss der Schrecken auch noch mit Musik unterlegt werden?

Rauchwolken über einem explodierenden Atomkraftwerk sind zu sehen, reißende Fluten, verzweifelte Menschen, Flüchtende, hilflose Alte und Kinder, viele Kinder; Schlammlawinen, die Autos und Häuser mitreißen, brennende Raffinerien, verwüstete Landschaften, und noch einmal: Rauchwolken über einem explodierenden Atomkraftwerk.

Aber das reichte der Regie des „heute journal“ nicht. Die Bilder des Schreckens wurden musikalisch unterlegt mit dem elegischen Intro von „Teardrop“, einem Klassiker der Band Massive Attack. Moderatorin Marietta Slomka hatte die Szenen zum Ende der Sendung angekündigt mit dem schaudernden Hinweis auf die drohende Atomkatastrophe; danach Schnitt, es folgte Max Gregers fröhliche Interpretation von „Up to date“, der Erkennungsmelodie des „Aktuellen Sportstudios“, dazu der nicht minder fröhliche Moderator Michael Steinbrecher.

Das ZDF war nicht allein mit seiner Begleitmusik; auch einigen Nachrichtensendern fehlten die Worte, stattdessen war zum apokalyptischen Geschehen dramatische Klassik zu hören. Doch die Frage ist nicht, welche Musik die passendere ist, sondern: was das überhaupt soll. Reichte den Fernsehmachern nicht, was sie an Bildern hatten? Meinten sie, ihr Publikum noch ein bisschen in Stimmung bringen zu müssen, zu emotionalisieren?

Das ZDF erklärt dazu, die Musik sei sehr zurückhaltend gewesen, damit nicht der Eindruck von Musikvideos entstehe. Doch genau das war der Fall, zumal gerade Massive Attack berühmt sind für ihre packenden Clips. Bei N24 wird verwiesen auf die ohnehin vorhandenen Gefühle der Zuschauer; die Musik habe „den Effekt, diesen Emotionen zu entsprechen“. Doch so werden Nachrichten zur gruseligen Unterhaltung. Musik verstärkt Gefühle, das wissen Regisseure, ob sie nun Spielfilme drehen, Dokumentationen oder Propaganda. Der zivilisationskritische, wortlose Film „Koyaanisqatsi“ aus den frühen achtziger Jahren wirkt vor allem durch die Musik von Philip Glass. Die Sequenzen aus dem „heute journal“ wirken wie der Versuch eines Remakes.

Dass es auch anders geht, zeigte die ARD. Dort liefen am Ende des „Brennpunkts“ die Bilder des Tages ohne Musik und entfalteten so, ganz unkommentiert, eine eigene, intensive Wirkung. Der nachfolgend geplante Musikantenstadl wurde gestrichen, stattdessen war eine vorgezogene Dokumentation über Tschernobyl zu sehen, ursprünglich in einer längeren Fassung für Arte produziert von Thomas Kufus. Und die begann – mit Musik, aber immerhin mit passender: „Radioaktivität“ von Kraftwerk - nicht in der atomkraftkritischen Post-Tschernobyl-Version, sondern in der leicht ironisch optimistischen Urfassung.

Der Bandname Massive Attack hat übrigens eine doppelte Bedeutung. Aus dem Kreolischen hergeleitet heißt Massive übersetzt Publikum – eine Attacke aufs Publikum also. Das passt. Alles andere nicht. Zu Nachrichten gibt es nicht die richtige Musik oder die falsche, hier passt Musik gar nicht. Sonst müsste man noch darüber diskutieren, ob zu den Bildern aus Japan „Smoke on the Water“ geht. Da gäbe es ja keine Text-Bild-Schere. Andererseits ist dieser Song spätestens untauglich geworden, seit Karl-Theodor zu Guttenberg ihn sich zum Abschied von der Bundeswehr hat als Marsch blasen lassen.

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