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Eine Argentinierin in New York. Camila aus dem Film "Hermia&Helena".

© Arsenal

Matías Piñeiro-Werkschau im Arsenal: Wie es ihm gefällt

Eigensinnige Verbindung von Kino, Theater und Literatur: Das Arsenal zeigt eine Werkschau des jungen argentinischen Regisseurs Matías Piñeiro.

In den Filmen des argentinischen Regisseurs Matías Piñeiro gelten die Spielregeln des fliegenden Wechsels: Figuren geben sich den Staffelstab in die Hand, Objekte wie Bücher, Postkarten oder versteckte Botschaften zirkulieren. Es herrscht ein Kommen und Gehen von Wirklichkeit und Fiktion, von Alltag und Spiel. Die Plots lassen sich nur schwer erzählen: zu viele Namen, zu viele Figurenkonstellationen und Rollenwechsel. Man müsste ein Modell bauen, mit vielen Ebenen und mobilen, idealerweise elastischen Elementen. Denn so konstruiert Piñeiros Filme auch sind: Ihre Architektur wirkt immer offen und experimentell. Diese hochbeweglichen Gebilde lassen sich nun im Rahmen einer Werkschau im Kino Arsenal betrachten. Wer auf Untertitel angewiesen ist, hat gut zu lesen. Denn bei Piñeiro wird so viel und ratternd schnell gesprochen, dass einem leicht der Kopf schwirren kann.

Mit seiner eigensinnigen Verbindung von Kino, Theater und Literatur entwickelte Piñeiro, 1982 geboren, im jüngeren Autorenkino mit nur wenigen Filmen eine unverwechselbare Handschrift. Auf sein Spielfilmdebüt „The Stolen Man“ (2007) und „They All Lie“ (2009), die sich beide auf den argentinischen Autor und Präsidenten Domingo Faustino Sarmiento (1811-1888) beziehen, folgen bis heute eine Reihe von Arbeiten, die weibliche Figuren, Motive, Atmosphären und Dialoge aus Shakespeare-Komödien in gegenwärtige Lebensverhältnisse einflechten.

Seine „Shakespeareaden“ haben mit dem Genre des Theaterfilms jedoch nur bedingt zu tun, auch wenn im Mittelpunkt der Filme Schauspieler und Regisseure bei Theaterproben stehen. Piñeiro adaptiert lediglich Versatzstücke: den Rollenwechsel, die Verwicklungen, Verwirrungen und Komplotte. An Shakespeare erinnert auch der unkontrollierbare Begehrensstrom, der sprunghaft Paarbeziehungen stiftet. Wiederholt kommt es zu anfallartigen Knutschereien oder zum abrupten Ende von Liebesinteressen. Als seien geheime Mächte am Werk.

Die Sprache hat eine fast physische Präsenz

Im 40-minütigen „Rosalinda“ (2010) entstehen bei den Proben zu „Wie es euch gefällt“ wundersame Vermischungen von Schauspielerin- und Figurenidentität. „Viola“ (2012), der die Arbeit an „Was ihr wollt“ mit dem Alltag einer Fahrradkurierin für DVD-Raubkopien verbindet, ist wie „The Princess of France“ (2014) ein ausgeklügeltes Spiel mit Loop-Strukturen und Variationen. Alltagsgespräche und elisabethanische Verse gehen fließend ineinander über, die Sprache verführt, sie hat eine fast physische Präsenz. Der Drive entsteht durch Rhythmus und Musikalität.

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Piñeiro dreht mit kleinen Budgets und außerhalb des staatlichen Fördersystems, das Geld kommt von Institutionen und Filmfestivals. Der eigentliche Produktionskontext aber sind die engen Freundschaften und langjährigen Arbeitsbeziehungen. Es gibt eine feste Gruppe, zu der eine Reihe von Schauspielerinnen (vor allem: María Villar und Agustina Muñoz) sowie der Kameramann Fernando Lockett gehören. Nicht zuletzt sind die Filme immer auch das Dokument einer intensiven Zusammenarbeit. Im jüngsten Werk wird die Community durch einen geographischen Sprung erweitert: „Hermia & Helena“ von 2016 ist Piñeiros erster Film, der außerhalb von Argentinien und in Englisch gedreht wurde. Zum eingespielten Ensemble stoßen Persönlichkeiten des Independentkinos hinzu wie Mati Diop und Keith Poulson, einem Stammdarsteller in den Filmen von Alex Ross Perry.

„Hermia & Helena“ erzählt von Camila, die ins winterliche New York zieht, um den „Sommernachtstraum“ ins Spanische zu übersetzen. Wieder werden wechselnde Paarkonstellationen getestet. Nur reihen sich dieses Mal in den Reigen von Freundinnen sowie abgelegten, aktuellen und potentiellen Liebhabern eine mysteriöse Frau und eine Vaterfigur. „Hermia & Helena“ gibt sich betont heiter, doch unter der Oberfläche wird eine Melancholie spürbar. Shakespeare fungiert in dieser Entfremdungsgeschichte nicht als mehr Handlungsmotor, sondern als notwendiger Halt. Formal ist „Hermia & Helena“ Piñeiros bisher kunstvollster Film – und sein fragilstes Modell.

Vom 4. bis 12. Mai im Kino Arsenal

Esther Buss

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