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André Derain malte 1905 „Das Goldene Zeitalter“

© VBK, Wien, 2013

"Matisse und die Fauves" in der Wiener Albertina: Das Tier im Maler

Den Sommer 1905 verbrachten Henri Matisse und André Derain im südfranzösischen Hafenstädtchen Collioure. Dort starteten sie die kürzeste Avantgarde-Bewegung der Kunstgeschichte. Nach nur dreieinhalb Jahren lösten sich die "Fauves" wieder auf - doch mit ihren flammenden Farben, ihrem provokanten Aufbegehren gegen alle akademischen Regeln hatten sie der Malerei den Weg in die Abstraktion geöffnet

Ein Selbstporträt, zwei Freundschaftsbilder: Kees van Dongen malte sich selbst, André Derain den Freund Henri Matisse und Maurice de Vlaminck wiederum Derain. Bei allen dreien ist die Farbe außer Rand und Band geraten, die Bärte flammen leuchtend rot, die Augen starren glutäugig den Betrachter an. Wenn Fauves sich selber malten, dann musste es schon knallen. Die Farbe war ihr Element, der Verstoß gegen Regeln ihr oberstes Gebot. Wer in diese wilden Gesichter schaut, der sieht Experimentierlust, Entschlossenheit, das Antlitz einer Revolution. Knapp drei Jahre sollte diese Revolte nur dauern, von 1905 bis 1907/08, doch hob sie die Welt der Malerei aus den Angeln. Danach schien nichts mehr wie zuvor, der Realismus endgültig zum Teufel. Die Moderne konnte beginnen. Das ungezähmte Tier war von der Leine gelassen.

„Fauves“, die hämische Bezeichnung des Kunstkritikers Louis Vauxcelles für diese Malerbande nach ihrem ersten Auftritt 1905 im Pariser Herbstsalon, sollte sich zum Ehrentitel der Gruppe wandeln. Henri Matisse, der als Ältester der lockeren Gemeinschaft als ihr Gründer gilt, behielt den Namen bei, als er längst nach dem Ende dieser kürzesten Avantgarde-Bewegung der Kunstgeschichte über ihre gemeinsame Zeit schrieb – nicht zuletzt, um deren Werke vom darauf folgenden Kubismus abzugrenzen. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass nicht nur der Kubismus auf diesem Befreiungsschlag der Kunst fußte, sondern jegliche Ausdrucksmalerei. Auch der Expressionismus erhielt hier seine wichtigsten Impulse.

Der Fauvismus war ein Feuerwerk, das sich schon in seinem ersten Jahr in den Himmel des Kunsthandels schoss und sogleich verglühte. Als Matisse und Derain den Sommer 1905 gemeinsam im südfranzösischen Hafenstädtchen Collioure verbrachten, war Ambroise Vollard längst auf ihrer Fährte und verkaufte die entstandenen Gemälde unverzüglich an Sammlungen in den Vereinigten Staaten, Russland und Deutschland. In Berlin nahm Cassierer sogleich den Faden auf. Im Jahr darauf entsandte der clevere Pariser Galerist seinen Schützling Derain nach London, um dort die Stadt auf den Spuren Monets im neuen Stil porträtieren zu lassen. Und natürlich waren auch diese Bilder für Kunden bereits reserviert. Die rosa erblühende Bucht von Collioure bei Matisse oder die in giftigem Gelb und Grün unter der „London Bridge“ dahinfließende Themse bei Derain hatten ihre Käufer längst gefunden, als die Kritik sich noch das Maul zerriss.

Umso mehr erstaunt es, dass solch ein Siegeszug an den österreichischen Museen bislang vorübergegangen sein soll. Erstmals nun zeigt die Wiener Albertina eine umfassende Ausstellung über diese Kunstbewegung unter dem Titel „Matisse und die Fauves“. Anlass ist die dem Haus übereignete Sammlung Baltliner, in deren Besitz sich zentrale Werke befinden. Ergänzt um hochkarätige Leihgaben aus der ganzen Welt entstand eine 160 Arbeiten umfassende Schau, die das Feuer von damals wieder lodern lässt. In den Augenschmaus mischt sich Staunen über diese wilden Kerle und ihre Kompromisslosigkeit. Es ist die immer wieder gerne erzählte Geschichte vom Mythos Künstler, der außerhalb der Gesellschaft steht und nach den Sternen greift, mögen die Themen der Fauves auch die alten sein: Landschaft, Akt, Porträt.

Der Wildeste unter den Fauvisten war Maurice de Vlaminck, der als Stehgeiger durch die Pariser Nachtlokale zog, nachdem er sich schon als Radrennfahrer und Boxer verdingt hatte. Kunst hatte er nie studiert und das mit größter Überzeugung. „Ich übertrieb alle Töne. Ich verwandelte alle mir irgend wahrnehmbaren Gefühle in einen Rausch reiner Farben. Ich war ein verliebter, ungestümer Barbar. Ich komponierte aus dem Instinkt. Keiner Methode verschrieben, galt mir nicht eine künstlerische, sondern eine menschliche Wahrheit,“ schrieb er in seinen Lebenserinnerungen.

Vlaminck blieb am Ende auch der Einzige, der dem Fauvismus die Treue hielt. In seinen Gemälden scheint das große Vorbild van Gogh auf. Auch bei ihm drehen sich am Himmel die Wolken im Kreise, und das „Weizenfeld“ wogt dramatisch in Orange und Rot. Die Farbe wirkt wie direkt auf die Leinwand geklatscht. Diese Hast, die Suche nach dem Unmittelbaren zeigt sich auch bei Matisses „Offenem Fenster“ (1905), das den Blick auf den Hafen von Collioure freigibt. Das Türkisgrün an den seitlichen Zimmerwänden stammt direkt aus der Tube: eine Modefarbe der Zeit, die vorgemischt angeboten wurde. Zugleich ließ Matisse die Leinwand stellenweise offen zutage treten, was der Aussicht ein noch größeres Flirren verleiht. Fast scheint der Künstler zur reinen Farbe, der Abstraktion vorgedrungen zu sein. Die Farbfeld-Malerei eines Mark Rothko kündigt sich hier an.

Doch noch ist die Zeit nicht reif für die reine Abstraktion. Braque, der Jüngste der Bande, geht als Erster und biegt gen Kubismus ab, den er mit Picasso erfinden wird. Derain und Paul Dufy folgen ihm nach. Henry Maguin und Albert Marquet kehren zur spätimpressionistischen Tonmalerei zurück, Kees van Dongen avanciert zum Maler der Mondänen, Georges Rouault sucht nach neuen Formen der religiösen Kunst. Matisse schlägt nach dem Abenteuer Fauvismus einen ruhigeren Weg ein. In der Spätzeit wird er zunehmend dekorativer, die Bilder setzen sich in der Fläche schier unendlich fort. Der Stoffe- und Draperiensammler Matisse frönt seiner Leidenschaft auch auf der Leinwand. In „Stillleben mit Teppich“ (1906) sind die Bildränder so scharf gesetzt, dass es weder eine Hierarchie der Gegenstände noch eine Zentralperspektive gibt. Wie ein bequemer Lehnstuhl sollte Malerei sein, eine Erholung für den Geist, forderte Matisse. Die Harmonie der Farben und Formen blieb sein Thema bis ans Lebensende, die Wildheit der Fauves aber war in der Welt.

Albertina, Wien, bis 12. Januar 2014;

Katalog (Wienand Verlag) 29 €.

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