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Kultur: Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton stellen der Wohnungsbaugesellschaft GSW in Berlin einen leuchtenden Beispielbau hin

Nicht dass es falsch gewesen wäre, schon zu IBA-Zeiten im Süden und nach der Wende nördlich des Checkpoint Charlie die Friedrichstadt durch Blockrandbebauung "kritisch" zu rekonstruieren! Allzu unwirtlich waren zuvor die Ergebnisse der "Kolonisierung der Ruinenlandschaft" (Sauerbruch) nach 1950 - Städtebau aus der Streudose - ausgefallen, die man ab 1984 zu reparieren trachtete.

Nicht dass es falsch gewesen wäre, schon zu IBA-Zeiten im Süden und nach der Wende nördlich des Checkpoint Charlie die Friedrichstadt durch Blockrandbebauung "kritisch" zu rekonstruieren! Allzu unwirtlich waren zuvor die Ergebnisse der "Kolonisierung der Ruinenlandschaft" (Sauerbruch) nach 1950 - Städtebau aus der Streudose - ausgefallen, die man ab 1984 zu reparieren trachtete. Mit offenkundigem Erfolg, wie viele meinen. Doch Städtebau ist eine dialektische Übung, und so wurden auch andere Stimmen laut, die die Übungsleiter Kleihues und später Stimmann des Schematismus, der Monotonie, der Reaktion ziehen.

Ein buchstäblich leuchtendes Beispiel, offensichtlich ein Fanal für die Gegenposition, ist nun in der südlichen Friedrichstadt zu bewundern, das neue Hochhaus der Wohnungsbaugesellschaft GSW an der Kreuzberger Kochstraße. Geht es also auch anders? Der Eindruck täuscht, denn der genaue Blick zeigt, dass sich die Architekten Matthias Sauerbruch und seine Partnerin Louisa Hutton, Berliner Architekten mit einem Zweigbüro in London, sehr wohl und auf eine sensible und intelligente Weise mit dem genius loci, mit dem barocken Grundmuster der Friedrichstadt auseinandergesetzt haben, dass sie auf die Blockränder der Umgebung als Raumvorgabe gar nicht verzichten können, um ihr eigenes Spiel über drei Banden betreiben zu können. Wohl ist ihr Vorgehen die Strategie der collage city, des beherzten Eingriffs, des dynamischen Einbruchs in eine rationalistische Schachbrettordnung. Man sieht sich an Hans Kollhoffs Wohnbebauung am Luisenplatz erinnert, der dort mit einer ähnlichen Strategie der Konfrontation die Stadtbaugeschichte vorangetrieben hat.

Doch Sauerbruchs und Huttons Ensemble fährt nicht wie Daniel Libeskinds Titanblitz in die Stadtstruktur, es reagiert geschmeidig. Der dreigeschossige, schwarz geflieste Flachbau entlang der Kochstraße bezieht sich in seiner Traufhöhe auf die ehemalige Barockbebauung und besetzt scharfkantig die Ecken des Straßenblocks, weicht aber in elegantem Schwung zurück, um den Raum zu erweitern, wirken zu lassen. Das Hochhaus fängt den Blick schon von weitem, die kleine Grünfläche über der Tiefgarage ist point de vue und Endpunkt der zum Park umgewidmeten ehemaligen Junkerstraße. Nur der Altbau, das GSW-Hochhaus von Schwebes und Schoszberger aus dem Jahr 1961, will nicht recht ins Konzept passen.

Ursprünglich ging es beim Architektenwettbewerb 1990 um die Erweiterung dieses im Grundriss quadratischen, durch außenliegende (ehemals Sicht-)Betonstützen charakterisierten Hochhauses, das gewiss nicht zu den schönsten Exemplaren seiner Gattung gehörte. Stand es früher schon unmotiviert in der Gegend herum, so stört es heute endgültig. Mögen die Architekten auch an dem Gebäude einen gewissen Gefallen gefunden haben (wie sie beteuern), mögen sie es fürsorglich denkmalpflegerisch(!) saniert und durch den gemeinsamen Aufzugkern mit dem neuen Hochhaus verbunden haben, aus architektonischer Sicht wäre es besser gewesen, man hätte es abreißen können. Soll man den Architekten einen Vorwurf machen? Dass sie dieses eine Mal wenigstens von ihren gewohnt fließenden, spannungsreichen Formen (wie auch beim Photonikzentrum Adlershof und beim Umweltbundesamt Dessau) hätten Abstand nehmen und eine Baukörperkomposition erfinden sollen, die den Altbau und vielleicht sogar noch die benachbarte ehemalige Druckereihalle mit dem Neubau zu einem Ensemble arrangiert hätte? Sicher nicht. Eher wäre der stumpfe Turm neu zu karossieren gewesen, doch da war der Landeskonservator vor - ein fragwürdiger Akt des Denkmalschutzes.

Neben dem neuen Hochhaus freilich verblasst es; der Neubau zieht alle Augen auf sich. Erich Mendelsohn hatte einst ähnlich schwungvolle, wie vom Weitwinkelobjektiv sphärisch verzerrte Objekte skizziert - und sie dann rechtwinklig, geradlinig verwirklicht. Die Sauerbruchs bleiben konsequent und bauen den dynamischen Schwung wie seit Aalto niemand mehr. Wozu einen langweiligen Kreis zeichnen, ein Ei ist viel spannungsreicher und eröffnet Möglichkeiten der geschmeidigen Grundrissorganisation, wie sie schon Hugo Häring vorschwebten. Warum den Empfangstresen wie einen sperrigen Altarblock ins Foyer setzen, wenn eine elegante Bogenform mehr Aufmerksamkeit erregt und die Besucher unmerklich leitet. Pflanzbecken vor dem Haus und auf dem Dach haben Amöbenform, die Stützen im Hochhaus einen weichen, 8-förmigen Querschnitt, Flure und Decken geraten ins Schwingen. So ist denn alles in harmonischer Bewegung, schließlich ist der Mensch kein rechtkantiges Wesen und bewegt sich nicht in kartesischen Bahnen. Haptische, körperhafte Formen sollen die sinnliche Erfahrbarkeit der Architektur und das Körpergefühl der Benutzer aktivieren.

Zu diesem Konzept gehört auch das Spiel mit Hell- und Dunkelzonen im Foyer, in dem man die Struktur des Hauses erleben können soll, natürlich auch die ungewöhnliche Farbpalette. Vorlaut-grell in verschiedenen Gelb- und Grüntönen, mit blauen und weißen Streifen macht die "Pillendose" auf sich aufmerksam, ein dreigeschossiger, im Grundriss eiförmiger Bauteil, der waghalsig auf dem östlichen Ende des Sockelbaus balanciert und Blickfang von Osten ist.

Nach Westen leuchtet das Hochhaus rubinrot, rosa und orange, bietet in der Nachmittags- und Abendsonne eine großartige Inszenierung wie ein Gemälde von Vasarely. Die Fassade lebt, sie hat Tiefe und Charakter. Man hat sie nicht mit dem ersten Blick erfasst wie die distinguierten Glaskuben à la Mies van der Rohe etwa der Postbank am Landwehrkanal oder des Europacenters.

Die Fassade lohnt auch den zweiten Blick, denn sie ist nicht nur eine Augenweide sondern eine Klimafassade mit "adiabatischer Kühlung", Bestandteil eines neuen Klimakonzepts, wie es in Berlin noch nicht realisiert wurde und das vorerst von vielen Architektenkollegen bespöttelt wird. Frischluft strömt durch spezielle Fassadenelemente an der Ostseite in die Flure der einhüftig erschlossenen Büroetagen, von dort ebenfalls durch raffinierte schall- und rauschgedämmte Wandschlitze in die Büros. Für die Entlüftung sorgt die Westfassade durch die Kaminwirkung des Zwischenraumes zwischen äußerer und innerer Glashaut. Auf Geräteunterstützung oder gar eine Klimaanlage wird verzichtet. Zusätzlichen Sog erzeugt der kühn auskragende Flügel auf dem Dach, der auch noch das laueste Lüftchen heißer Sommertage beschleunigt und als Luftsauger bemüht. Als sei eine Rumpler-Taube auf dem Dach gelandet, so mutet die aerodynamisch ausgeklügelte Spannkonstruktion an, die erstmals das vor allem in den 50-er Jahren beliebte Motiv des Flugdaches mit Funktion und Sinn erfüllt.

Träger der rotleuchtenden Fassadenfarben sind die gelochten Aluminiumbleche, die wie Vorhänge im Zwischenraum der Glasfassade hängen, gedreht oder ganz zur Seite gefahren werden können und jedes Stadium von Sicht- und Sonnenschutz ermöglichen. Die "Künstler", die das Farbenspiel der Fassade ständig neu komponieren, sind die Nutzer. Selbst steuern können sie auch die Belüftung. Nach Belieben können die Fenster geöffnet, können Luftzufuhr aus der Ostfassade und Abluft an der Westseite geregelt werden, doch auch der zentrale, rechnergesteuerte Zugriff ist möglich. Die Mieter sollen lernen, das intelligente System sinnvoll zu benutzen, "notfalls über die Energierechnung". Auch das System ist lernfähig. Ein Jahr Einlaufzeit ist vorgesehen, zwei Jahre lang werden die Klimawerte beobachtet und ausgewertet, dann wird sich zeigen, ob die erhofften Energieeinsparungen realisiert werden und ob der Aufwand dafür gerechtfertigt ist.

Mit dem GSW-Haus von Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch fand ein zeitgenössischer Dynamismus den Weg in die Berliner Innenstadt, der von der herrschenden Doktrin des Berliner Rationalismus denkbar weit entfernt ist. 1990, als der Wettbewerb ablief, war das wohl noch möglich. Bereits ein Jahr zuvor war unweit des Projekts ein anderes Gebäude entstanden, das ähnliche Züge und ebenfalls eine Art städtebauliche Oppositionshaltung zeigte, Elia Zenghelis¥ Haus am Checkpoint Charlie. Im Architektenteam OMA mit von der Partie: Matthias Sauerbruch. Noch ist ihr Gesamtwerk überschaubar, doch bereits nach zwei Projekten in Berlin, dem fabelhaften Photonikzentrum in Adlershof und der GSW, gelangen ihnen zwei Referenzbauten der Jahrtausendwende, und so gehören die Engländerin Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch, Professor an der TU Berlin, inzwischen zu den namhaften und vor allem wegweisenden Berliner Architekten, die es mit all den eingeflogenen Grim-shaws, Vasconis und Pianos durchaus aufnehmen können.

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