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Bernd Matthies

© Kai-Uwe Heinrich

Matthies ringt um Worte: Angela Merkel: Rhetorik nach Hausfrauenart - aber hochprofessionell

Matthies ringt um Worte: In seiner Sprachkolumne betätigt sich Bernd Matthies heute als Merkel-Schriftgelehrter. Rhetorisch ist die Kanzlerin immer noch Kohls Mädchen - ein kleines Stück weit zumindest.

Sollten wir Angela Merkel wirklich immer beim Wort nehmen? „Heute ist für mich der Tag“, sagte sie vor der Presse in einer knappen Rede, die gewiss nicht unvorbereitet war, „an dem das Bedauern über den Rücktritt im Vordergrund steht und auch die Leistung, die Horst Köhler erbracht hat“. Ein Merkel-Satz. Je näher der Leser hinsieht, desto ungenauer sieht der Satz zurück. Eigentlich ist er eine Frechheit dem scheidenden Staatsoberhaupt gegenüber: Das Bedauern über die Leistung? Doch wir als langjährige Merkel-Schriftgelehrte wissen, dass sie es nicht so gemeint hat, wie es da steht, sondern ganz anders, ungefähr so: „Ich bedauere den Rücktritt Köhlers gerade angesichts seiner Leistungen für das Land.“ Über die Journalisten formuliert sie: „…weil sie damals auch immer wieder kritisiert hatten über das Schweigen und andere Dinge von ihm.“ Vom nächsten Bundespräsidenten verlangt sie, es müsse einer sein, „der zu den Menschen spricht“ – also kein Taubstummer? Nicht auch zu den Tieren? Der Satz ist ein schiefes Konstrukt aus der Sinnwolke von „der bei den Menschen Gehör findet“, „der die Sprache der Bürger spricht“; die Hörer müssen sich das genau Gemeinte selbst zusammenreimen.

Warum leiden sprachsensible Deutsche so unter den Satzgirlanden ihrer Kanzlerin? Ein Klempner, der so mit seinen Werkzeugen umginge wie Angela Merkel mit der Sprache, würde zweifellos das halbe Land unter Wasser setzen. Der Köhler-Rücktritt hat einen Haufen einschlägige Beispiele für die Ungenauigkeit geliefert, mit der sie ihre Sätze konstruiert. Häufig sieht es so aus, als überblicke sie nur die erste Hälfte – doch statt dann lieber einen Punkt zu machen, liefert sie den gedanklichen Rest als eine Art Bausatz, der vom Zuhörer nur mit Mühe in den gemeinten Sinnzusammenhang zu bringen ist, Rhetorik nach Hausfrauenart.

Geübte Redner, in der Regel also auch alle Bundeskanzler, verfolgen beim improvisierten Sprechen eine von drei Strategien: Sie denken den Satzanfang vom inhaltlichen und grammatikalischen Ende her, sie verfügen stets gedankenschnell über mehrere syntaktische Varianten, die es ihnen erlauben, einen aufs Geratewohl angefangenen Satz unfallfrei zu Ende zu bringen, oder sie retten sich zumindest in feststehende Floskeln, um Zeit für die Satzreparatur zu schinden – meist ist es wohl eine Mischung aus allem. Angela Merkel kann das alles nicht. Auf die Frage nach den Aussichten eines neutralen Kandidaten entgleist sie in mehreren eingeschobenen Zwischengedanken: „Unsere Mehrheit nach den überschlägigen Schätzungen, die wir jetzt gemacht haben, in der Bundesversammlung, der jetzigen Koalition…“ Aber: „Deshalb wird es trotzdem nicht in dem Sinne der Konfrontation, das Amt des Bundespräsidenten ist ein nicht konfrontatives Amt, und deshalb wird man auch für eine Persönlichkeit werben, und das auch bei anderen Parteien.“

Sie stoppt den ersten Teilsatz mit dem noch frei drehenden „wird“, unterbricht für einen Untergedanken, und führt dann die Aussage zwar inhaltlich fort, aber ohne Rücksicht auf die Grammatik. Ein besserer Redner hätte schlicht gesagt: Der Bundespräsident wird vom ganzen Volk getragen, und deshalb sollte der Kandidat einer Partei auch von anderen Parteien unterstützt werden. Oder der Kandidat der Regierung von der Opposition? In gewisser Weise sind solche Sätze, so amateurhaft sie klingen, in ihrer Wirkung hochprofessionell geführte Machtinstrumente: Wer nichts präzise formuliert, der kann auch für keine Formulierung verantwortlich gemacht werden

Bemerkenswert ist dabei, dass diese Sätze gehört nicht besser sind als gelesen, weil es an einer den Sinn unterstützenden Betonung fehlt, und dass sie durch redundante Floskeln aufgebläht sind, die als typisch Merkel gelten dürfen: Schätzungen, „die wir jetzt gemacht haben“. Wer sonst? Und wann sonst? Manchmal entringen sich ihr auch komplette Sätze, die überhaupt nichts mehr bedeuten: „Ich geh immer so an die Sache heran, dass ich sage, jeder Mensch soll Entscheidungen auch für sich selbst treffen.“ Dass ich sage – das ist ein typisches Element ihrer Rede. Denn sie sagt Dinge in der Regel nicht direkt, sondern sagt, was sie über diese Dinge sagt oder glaubt oder meint. Nicht: Horst Köhler hat fünf Jahre gute Arbeit geleistet, sondern: „Ich glaube, dass Horst Köhler fünf Jahre… Nicht: Ich bedauere den Rücktritt, sondern: „Deshalb sage ich: Ich bedauere…“ Derlei Sprachhohlkörper stehen wie alte Schokoladenosterhasen in ihrer Rede herum, umfriedet von anderen störenden Versatzstücken wie „ein kleines Stück weit“ oder den notorischen Bürgerinnen und Bürgern, die jeden noch so geschliffenen Redefluss hemmen.

In diesem Sinne ist sie immer noch Kohls Mädchen, schleppt immer noch den Ballast mit sich herum, den ihr der In-diesem-unserem-Lande-Kanzler einst aufgeladen hat. Nur kam der mit solchen rhetorischen Saumagen meist eleganter über die Runden. Lernfähig ist sie dennoch: „Ich bedauere den Rücktritt Horst Köhlers aufs Härteste.“ Das war ein hochmoderner Lenaismus. Jedenfalls ein kleines Stück weit.

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