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Max Beckmann: Menschen, Tiere, Stadtansichten

55 Büchlein: Max Beckmanns Skizzen sind erstmals veröffentlicht

Von Max Beckmann sind nicht nur die Gemälde bekannt, sondern auch die Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen und Briefe. Sogar seine Privatbibliothek mit allen Annotationen des Künstlers ist wissenschaftlich erschlossen. Alles? Die Skizzenbücher, die Beckmann von 1899 bis zu seinem Tod 1950 führte, 55 an der Zahl, blieben bislang unveröffentlicht. Beckmanns zweite Frau, Mathilde „Quappi“, besaß 44 davon. 1984, ein Jahr vor ihrem Tod, vermachte sie sie auf Wunsch des Künstlers der Nationalgalerie in Washington; die übrigen waren in private Hände verstreut. Nun ist auch diese Lücke geschlossen: Mit der Faksimile-Edition in zwei wuchtigen Bänden sind alle 1300 überlieferten Seiten dieser Büchlein schlagartig zugänglich.

Dabei war ihr Inhalt nie für die Öffentlichkeit, ja kaum für engste Freunde bestimmt. „Munch, Kirchner und Beckmann sahen in ihren Skizzenbüchern lebenslange Begleiter“, schreibt Gerd Presler in der Einführung, mit Andrew Robson von der National Gallery die treibende Kraft der Publikation: Sie blieben zumeist „jener Bereich, in welchem der Künstler seine einsamsten und zugleich aufregendsten Stunden verbrachte. Im Skizzenbuch ist der Künstler allein, frei, unbeobachtet, privat …“ Für wen träfe dies mehr zu als für Beckmann, der geradezu weltsüchtig war, Hotelhallen und Bars frequentierte, um Menschen zu zeichnen, und doch entrückt blieb, ein Beobachter aus einer anderen Sphäre.

Genau das zeigen die Blätter der vielfach nicht mehr vollständigen Bücher. Beckmann zeichnet, besessen wie einst Menzel, was ihm ins Auge sticht, Personen, aber auch Tiere und recht genaue Architekturstudien – etwa für das durch Zeichnungen sorgsam vorbereitete Gemälde der Synagoge am Frankfurter Börneplatz 1919. Bisweilen legt Beckmann Bildkompositionen sehr genau vorab fest, mit schwarzem Liniengewirr, das allein der Künstler selbst deuten kann, wie bei der mehrfigurigen Skizze von 1939, der ein „nicht das Meer vergessen“ hinzugefügt ist, und die im „Traum von Monte Carlo“ zum Gemälde wurde. Oder bei den alternativen Skizzen zum „Abstürzenden“ von 1944, mal mit zartem, dann mit heftigem Strich. Dazwischen ein Liebesakt, tanzende Paare, Strichmännchen oder eine vollgültige Ansicht von Prag.

Besonders eindringlich: das Kurz-Tagebuch, das Beckmann Anfang der 40er Jahre im Amsterdamer Exil führte, in jener Zeit, da die Angst vor den deutschen Besatzern am heftigsten war. Wenn da, wie für den 14. Januar 1941, „Nichts besonderes“ vermerkt ist, fühlt man beinahe Erleichterung, und „Mit Quappi am Meer“ deutet auf einen raren Moment der Entspannung hin. „Franke“ wiederum ist ein Hinweis auf ein Geschäft mit seinem Münchner Galeristen, das ungeachtet des Krieges vonstatten ging. Schade, dass die Blätter nicht transkribiert sind, Beckmanns Schrift, oft in Sütterlin, ist schwer zu entziffern.

Naturgemäß ist die Qualität der Zeichnungen unterschiedlich, entsprechend der Ertrag für ein tieferes Verständnis von Beckmanns Arbeitsweise. Aber darin liegt gerade der intime Charakter dieser Büchlein, die vorwiegend nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, als der Künstler auf der Suche nach seiner ureigenen Ausdrucksweise war. Auf jeden Fall ist mit dieser großartigen Publikation die letzte wesentliche Lücke geschlossen, die zum Verständnis von Beckmanns Kunst noch offen war. Dennoch wird sich sein Werk dem Betrachter wohl niemals vollständig erschließen. Eben darin liegt ihre bleibende Faszination.

Max Beckmann Gesellschaft, Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hg.): Max Beckmann. Die Skizzenbücher. Deutsch/Englisch, Hatje Cantz, Ostfildern 2010. 2 Bde., zus. 976 S., 1466 Abb., 248 €

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