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Max Bill-Ausstellung: Der Welt-Gestalter

Bauhaus-Archiv: Max Bill zum 100. Geburtstag. Vom Gestalter einer neuen Welt ist er zum Vorzeige-Schweizer geschrumpft - und die Berliner Ausstellung unterstreicht es unfreiwillig in ihrer kantenlosen Beschaulichkeit.

Max Bill – der Name stand einmal für Erneuerung, nicht einer einzelnen künstlerischen Sparte, sondern unserer visuellen Kultur schlechthin. Mit dem Begriff der „guten form“ lieferte er zunächst der heimatlichen Schweiz, unmittelbar danach der jungen Bundesrepublik 1949 eine Haltestange, an der sie sich aus dem Trauma der braunen Jahre herausziehen konnte. Fortan sollte alles leicht und funktional sein, von Geschichte und Tradition befreit, nur nützlich, gegenwärtig und dadurch schön. Der Schweizer, der seine entscheidenden Prägungen am Dessauer Bauhaus erhalten hatte, kam als eine Art Nationalpädagoge zurück, verwirklichte die Idee einer Bauhaus-Nachfolge in Gestalt der Ulmer „Hochschule für Gestaltung“ und schneiderte ihr das maßstabsetzende architektonische Gewand. Nimmermüde, stand er dem Trägerverein des späteren Bauhaus-Archivs zehn Jahre lang vor, bis ihn 1994 der Tod auf dem Flughafen von Berlin-Tegel ereilte, 85-jährig – was für ein Sinnbild für ein Leben ohne Stillstand.

Vor über dreißig Jahren veranstaltete die West-Berliner Akademie der Künste eine Bill-Retrospektive am Hanseatenweg. Da war seine Kunst, die sich „konkret“ nannte, weil sie nichts abbildet oder darstellt, sondern „ist“, eben noch aktuell. Und doch galt er bereits damals als vergangen. Immerhin, es gab viel zu sehen; weit mehr, als jetzt das Bauhaus-Archiv in seinem einen, kleinen, rührend überschaubaren Seitensaal unterbringen kann. Die elf von achtzig Bildtafeln, die bei der in Basel gestarteten und später durch halb Europa geschickten „guten form“ so ungemein volkserzieherisch wirkten, rühren den Betrachter durch ihre Schlichtheit, die Lichtjahre entfernt ist vom Hightech-Gemotze, das heute jedem drittklassigen Design-Absolventen zu Gebote steht. Und doch war ihre Wirkung unvergleichlich größer.

Als Pädagoge hat sich Bill stets verstanden. In Ulm fand er nicht nur dankbare Schüler, sondern rieb sich auch mit konkurrierenden Lehrkräften, die ihn bereits 1956 zum Rückzug trieben. Das Missionarische blieb Bills Element, und wenn er heutzutage, aus Anlass der zunächst in seiner Geburtsstadt Winterthur gezeigten Ausstellung, als „Chefdesigner einer modernen Schweiz“ gefeiert wird, so kann man getrost auch die westdeutsche Bundesrepublik hinzusetzen.

Auf dem rechtwinkligen Hocker mussten sie alle sitzen in Ulm, diesem als „Hocker für drei Positionen“ ausgezeichneten Universalmöbel des schwäbischen Exerzitiums von 1954. Jede Küche zierte die berühmte Wanduhr mit zusätzlichem Kurzzeitmesser, damit die Hausfrau nicht den Kuchen im Backofen vergisst. Auf dem Kreuzzargenstuhl von 1952 müssen Heerscharen von Volkshochschulhörern gesessen haben. Der Elektro-Kippschalter besaß die „endgültige“ Form, und schon 1949 muss klar gewesen sein: Wenn man Bill nur lang genug machen lässt, bringt er die ganze Welt in eine endgültige, nicht weiter zu verbessernde „Produktform“, wie er es nannte, wo Funktionalität und Schönheit verschmelzen und eins das andere bedingt.

Schönheit jenseits einer Funktion gab es für Bill durchaus, das war der Bereich der konkreten Kunst. Für Bill war das kein Gegensatz, im Gegenteil: „obschon jede schöpferische gestaltung durch inspiration angeregt wird, ist sie ohne klare und präzise formung nicht zu vollenden“, schrieb er programmatisch bereits 1936, mit gerade einmal 27 Jahren ein Vollendeter, der künftig nur noch in einem eindrucksvollen Lebenswerk auffächerte, was er ein für alle Mal als Prinzip bereits aufgestellt hatte.

Bills Kunst ist in der Berliner Ausstellungsvariante kaum vertreten. Immerhin weisen am Bauhaus-Archiv zwei seiner Farbsäulen den Weg zum Eingang. In anderen Städten stehen „tore“, schmiegt sich eine „konstruktion aus drei gleichen platten“ gefällig an einen Verwaltungsbau; alles benannt in bauhaus-typischer Kleinschreibung. Auch Typograf war Bill, schon vor dem Zweiten Weltkrieg, wovon zeitlos klare Plakate in der Ausstellung künden.

Von ihr bleibt der Katalog, der eigentlich ein Lesebuch ist; in Bill’schem Sinne gestaltet und in dem für seine Sorgfalt gerühmten Verlag Niggli verlegt. Erst 2005 übrigens wartete das Kunstmuseum Stuttgart mit einem ähnlich gut gestalteten, ähnlich essayistischen Katalogbuch auf. Sei’s drum. Doppelt gebillt hält besser; so sah es der Meister wohl auch.

Max Bill als Neuschöpfer unserer Kultur wird keine Renaissance beschieden sein. Sein unerschütterlicher Optimismus ist uns fremd geworden. Vom Gestalter einer neuen Welt ist er zum Vorzeige-Schweizer geschrumpft, und die Berliner Ausstellung unterstreicht es unfreiwillig in ihrer kantenlosen Beschaulichkeit. Man kann rechten, ob es nicht angemessener gewesen wäre – der streitbaren Persönlichkeit Bills angemessener –, nichts zu machen als, wie hier, zu wenig.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 25. August. Begleitbuch (Niggli), 29,60 €.

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