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Max Frisch im Jahr 1973.

© dpa

Max Frisch: Autobiografie, ein Spiel

Literatur und Miniatur: Jan Schulz-Ojala über Max Frischs legendäre Fragebögen.

Schon schön, diese Fragebögen. Haben was von den Psychotests, die mal schwer in Mode waren und die man heute noch in manchen Frauen- und Jugendzeitschriften findet. Was für ein Typ sind Sie? Bisschen Multiple Choice, zusammenzählen die Punkte und – zack! – untendrunter die große Herzenswelterklärung. Aber aus so was Literatur machen? Darauf konnte nur einer wie Max Frisch kommen, der am 15. Mai 1911, heute vor hundert Jahren, in Zürich geborene Romancier, der die Sprache der Skizze liebte.

In seinen elf Fragebögen hat er den Umkehrschluss probiert. Nicht Romane bauen aus immer neuen Anläufen und Entwürfen, sondern aus dem Prinzip Skizze ein Universum. 25 Fragen zu jeweils einem Thema, sei es Ehe, Geld, Heimat, Hoffnung, Freundschaft, Tod und so weiter, und – schwupps! – schon hat der Leser die große Schmerzenswelterklärung. Man könnte auch Philosophie dazu sagen.

„Lieben Sie jemand? Und woraus schließen Sie das?“ - „Fühlen Sie Blutsverwandtschaft? Bis zu welchem Alter des Kindes?“ – „Haben Sie Humor, wenn Sie allein sind?“ – „Wie viel Geld möchten Sie besitzen?“ – „Welche Qualen ziehen Sie dem Tod vor?“ – „Wann macht Sie die Ehe eher nervös: a) im Alltag? b) auf Reisen? c) wenn Sie allein sind? d) in Gesellschaft mit vielen? e) unter vier Augen? f) abends? g) morgens?“

Ganz einfache Fragen, eigentlich. Mal scheint ein Ja oder Nein oder ein Ankreuzen zu genügen, doch je schneller die Antwort, desto labyrinthischer der Zweifel, den sie aufwirft. Oder auch: die Anstiftung zum nachforschenden Denken, zur Unbarmherzigkeit in eigener Sache oder zum freundlichen Sichselbstmisstrauen. Niemand zieht hier eine Summe für den Leser, es sei denn er selber.

In seinem zweiten Tagebuchband (1966-1971) hat Max Frisch diese Forschungsspaziergänge durchs Du und Ich und Wir versammelt, da war er zwischen 55 und 60 – kein schlechtes Alter für einen gewissen Überblick. Die Fragebögen schimmern dort zwischen anderweitigen Kurzprosaformen auf, Reisenotizen oder auch wunderbaren Mini-Erzählungen wie „Skizze eines Unglücks“, und erwischen einen kalt. Oder auch: erwärmend. „Was tun Sie für Geld nicht?“ – „Wie alt möchten Sie werden?“ – „Sind Sie sich selber ein Freund?“

Seit ein paar Jahren bringt der Suhrkamp Verlag die gesammelten Fragebögen auch als Extra-Büchlein heraus, mit einigem Erfolg, als Verführung zur Neugier für jedes Lebensalter. Neueste Variante: fast ein Nonbook-Artikel im Moleskine-Format – mit viel Weißraum für eigene Notizen zwischen den kleingedruckten Frisch-Fragen. Das geht dann vielleicht so: Lass mich lesen, was du schreibst. Lass mich sehen, was du überschweigst. Autobiografie, ein Spiel: Max Frisch hätte es gefallen.

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