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Maxim-Gorki-Theater: Revolutionstalk, rotweinselig

Büchner à la Baumgarten: "Dantons Tod" im Berliner Maxim-Gorki-Theater.

Die Geister der französischen Revolution leiden unter Versteifung. Mit durchgedrückten Gliedmaßen steigen sie zu Beginn durch eine schwere Bunkertür hinab in Thilo Reuthers Underground-Bühnenhöhle. Sieht aus, als hätten sie Dantons Satz „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“ mit dem letzten Joint inhaliert.

Regisseur Sebastian Baumgarten öffnet am Berliner Maxim-Gorki-Theater zwei Stunden lang die Puppenkiste. Die Revolution – so seine nicht wirklich überraschende Lektion – hat am ehesten in Pop, Trash und Histotainment überlebt. „Bonjour, ich heiße Sie herzlich willkommen zu meiner Sendung ,Fin de Louis oder: Wie Ludwig der XVI. seinen Kopf verlor‘“, plaudert Anja Schneider zu Beginn von einem Radiosendeplatz aus in die Runde und begräbt jede Hoffnung auf ein baldiges Ende der Geschichtshäppchen: „Au revoir und à bientôt, wenn es wieder heißt: talking about a revolution.“

Danton & Co. setzen den Revolutionstalk ihrerseits am Höhlen-Tisch fort und stellen beim Nachgießen des Rotweins fest, dass das Hauptproblem jedweden Gesellschaftsumsturzes in der Differenz zwischen erster Person Singular und erster Person Plural liegt: „Ich – Entschuldigung, wir – wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele“, eifert der Schauspieler Michael Klammer, während seine Kollegin Anne Müller personalpronominafrei auftrumpft: „Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt.“

Was das Bühnengeschehen betrifft, ist sie längst in die Dekonstruktionsphase eingetreten: In seinem Bestreben, eher Büchner-Kommentar als Inszenierung zu sein, erinnert der Abend an ein Brainstorming für germanistische Seminararbeiten. Und das tritt trotz ambitionierter Seitwärtssprünge gern mal auf der Stelle: ein Schlenker zur Tötungseffizienz mit der Guillotine hier, ein kleiner Krisen-Step da („Endlich gibt es in den Bäckerläden wieder Brot; die Hoffnung ist groß, dass wir jetzt aus dieser Krise heraus sind“), Robespierres Disput über „kulturelle Aktionen“ mit einem Trickfilm-Denkerkopf dort – und zu alledem jede Menge Revolutionspop und Flachbildschirm-Impressionen.

Was Wunder, dass in dieser Diskursmasse auch Danton seinen Subjektstatus los geworden ist: Eine vierköpfige Danton-Group, zu der neben Müller und Klammer Philipp Hauß und Johann Jürgens gehören, teilt seine sowie die Textpassagen seiner Mitstreiter locker unter sich auf. Hat die Group sich müde geredet und auf ihr abgerocktes Matratzenlager fallen lassen, schlägt die Stunde des Tugendwächters Robespierre: „Wie das hier aussieht!“, schimpft er in Gestalt der früheren Castorf-Protagonistin Kathrin Angerer durch die Lasterhöhle und weckt Erinnerungen an bessere Volksbühnen-Zeiten. Mehr aber leider auch nicht. Denn den Schauspielern – außer den Genannten noch Ursula Werner und Wilhelm Eilers – bleibt seltsam wenig Raum in dieser zusehends ermüdenden Assoziationsmaschine. Christine Wahl

Nächste Termine: 22.4., 8.5., 19.30 Uhr

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