zum Hauptinhalt

Kultur: Maxim Gorki: Voll daneben ist auch vorbei

Vielleicht hätten die Theater nach dem mörderischen Dienstag ihren regulären Spielbetrieb besser eingestellt - und inne gehalten. Denn es zeigt sich, dass man auch dann, wenn man glaubt, umsichtig - und also für den Augenblick "richtig" - zu handeln, einem Irrtum aufsitzt.

Vielleicht hätten die Theater nach dem mörderischen Dienstag ihren regulären Spielbetrieb besser eingestellt - und inne gehalten. Denn es zeigt sich, dass man auch dann, wenn man glaubt, umsichtig - und also für den Augenblick "richtig" - zu handeln, einem Irrtum aufsitzt. Am Mittwochabend hat das Berliner Ensemble die Premiere von Rolf Hochhuths "Stellvertreter" über seine Bühne gehen lassen, mit der Erklärung oder Rechtfertigung, es handele sich um ein ernstes Stück, das sich mit Fanatismus und Völkermord beschäftigt. Daraus folgt: Wenn es keine knallbunte Revue, keine krachlustige Boulevardkomödie ist, wird es schon irgendwie angemessen sein, gerade jetzt.

Ein fataler Fehlschluss. Denn es sind just die - auch in friedlicheren Zeiten schon problematischen - Szenen, die nun ganz und gar unerträglich geworden sind. Wenn etwa, am Ende der "Stellvertreter"-Inszenierung von Philip Tiedemann, Schauspieler symbolisch ins Gas von Auschwitz gehen. "Unangemessen" oder "geschmacklos" ist dafür gar kein Ausdruck, grundsätzlich!

Das Maxim Gorki Theater befand sich in einer noch schwierigeren Lage. Nicht nur eine neue Spielzeit, eine neue Intendanz hat dort, im kleinsten Berliner Staatstheater, am Freitagabend begonnen - mit neuen Stücken, neuen Kräften, einem neuen Geist. Seit Monaten wurde auf Hochtouren geprobt, gearbeitet, vorbereitet - hätte der neue Gorki-Chef Volker Hesse das alles plötzlich aufschieben, anhalten, aufs Spiel setzen sollen?

Wie schwierig, wie sensibel bis ins kleinste Detail, die unbedeutendste Zufälligkeit das alles ist, zeigt sich am Folgenden. Mit einer Klanginstallation sollte die Künstlerin Penelope Wehrli die Eröffnung am Gorki Theater begleiten. Dabei wollte man, die Welt ist klein, auch mit der Großprojektion orientalischer Schriftzeichen spielen. Das Theater hat auf diese Aktion jetzt vezichtet. Es sollte keine Missverständnisse geben.

Die Uraufführung von Theresia Walsers neuem Stück "Die Heldin von Potsdam" fand freilich statt. Warum auch nicht, möchte man denken - schließlich handelt auch dieser Text, selbst wenn er sich als geschwätzige Farce geriert, von einer gar nicht so furchtbar lustigen Geschichte. Hier liegt ein Fall zu Grunde, der sich vor einigen Jahren in unserer Nähe abgespielt hat. Eine etwas verwirrte Frau behauptet, sie habe in der Bahn eine Türkin gegen rechtsradikale Schläger verteidigt. Die Frau lässt sich in den Medien für ihre Verletzungen, ihren vorbildlichen Heldenmut feiern - bis der tragikomische Schwindel auffliegt.

Aber es ist nicht diese Geschichte, die Theresia Walser erzählt. "Die Heldin von Potsdam" schleicht um die Frage herum, wie wir mit den größeren und kleineren Rassismen des Alltags, mit menschenverachtender Gewalt in den unterschiedlichsten Eskalationsstufen fertig werden. Wie das verarbeitet, vermarktet, kultiviert oder bekämpft wird. Es ist kein gutes Stück. Es ist womöglich überhaupt kein dramatischer Text, vielmehr anekdotische Prosa. Selbstverliebte Sprachspielerei, wie man sie häufig findet bei jüngeren deutschen Theaterautoren. Botho Strauß minus Dramaturgie, minus Mythos. Man begreift schlagartig, dass solche Kunst-Kunst, solche Küchen-Polit-Psychologie im Augenblick obsolet sein muss. Anders gesagt: Ein Shakespeare, ein Ibsen, ja "Charleys Tante" wäre mit den Bildern von New York auf der Netzhaut leichter zu ertragen als das Hochhuthsche oder Walsersche bedeutungshuberische Ungeschick.

Theater, das sich eng an reales Geschehen anlehnt, läuft immer Gefahr, abzuprallen und zu zerbröseln. Nach dem 11. September beschleunigt und verschärft sich dieser Prozess. Man bemüht sich, zuzuhören, hinzuschauen - und wendet sich von dem Theater-Theater ab. Selbst wenn es besser gemacht wäre. Vielleicht würde man jetzt aus Coppolas cineastischen Meisterwerk "Apocalypse Now" eine Ahnung dessen mitnehmen, was geschehen ist und was noch bevorsteht, am Beispiel Vietnams. Dagegen würde man sich dieser Tage ein Monster-Picture, in dem Schwarzenegger die Welt (oder was davon übrig ist) rettet, eher nicht antun.

Die Differenz von Kunst und Kunsthandwerk, Kunst und Kulturbetrieb klafft schmerzlicher denn je. Natürlich, der Lappen muss hoch, das Leben geht weiter. Man hat größtes Verständnis für den Intendanten und Regisseur Volker Hesse, der darauf brannte, seine Arbeit in Berlin zu beginnen. Doch ihm hätte früher schon, vor den CNN-Nächten, auffallen können, dass man - ein Beispiel nur - die Szene 14 der "Heldin von Potsdam" partout nicht spielen kann. Da lässt Theresia Walser drei Ausländer aufmarschieren, die Opfer rechter Gewalt wurden und in einer TV-Show auftreten sollen. Die dunkelhäutigen Gorki-Kleindarsteller sprechen Kanak-Sprak, werden im Text als "Ausländer 1 - 3" durchnummeriert und müssen Vollidioten mimen. Klar, die Autorin und ihr Regisseur meinen es kritisch. Sie wollen uns und den Medien Zerrspiegel vorhalten. Es ist peinlich. Grauenvoll verrutscht. Voll daneben ist auch vorbei.

Der Gipfel der Deplatzierung ist erreicht, wenn die "Heldin" im Krankenhaus Besuch bekommt von einem mysteriösen Typen im Rollstuhl, der eine Hakenkreuz-Tätowierung auf der Wage trägt und als Geschenk einen Knopf und Löffel auf die Bettdecke legt mit den Worten "Ich habe es auf den Wiesen von Auschwitz gefunden." Ein harter Schlag mit der Kitschkeule.

Wenn es am Gorki Theater eine Heldin gab, so war es Katharina Thalbach. Sie kämpft sich mit ihrer Paula durch die flachen Textgebirge mit Herz und Disziplin. Das Ensemble - mit Ursula Werner, Monika Lennartz, Klaus Manchen, der alten Gorki-Garde - hält sich wacker in der Buntpapier-Landschaft von Kazuko Watanabe. Hesses Regie hat nie die Härte, die dem koketten Text entgegen zu setzen wäre. Was hätte es sein können? Eine strenge Sprechoper? Oder hätte mehr Realismus in Bühnenbild und Inszenierung geholfen? Sicher ist nur: Die Erkenntnis, dass nichts mehr ist, wie es einmal war, hat das Theater noch nicht erreicht. Wie heißt es bei Maxim Gorki, dem Patron dieses Theaters: "Die Intelligenz, das sind nicht wir. Wir sind etwas anderes - wir sind Sommergäste in unserem Land."

Rüdiger Schaper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false