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Kultur: Maximale Präsenz, maximale Reduktion

Das Berliner Musikfestival „Ultraschall“ feiert die deutsch-französische Freundschaft.

Die Berliner Modewelt hat die Laufstege kaum hochgeklappt, da beginnt die Modewoche in der neuen Musik: Die Trends halten sich hier gern etwas länger, und kaum einer verkauft sich so gut wie der Verbrüderungstrend: im aktuellen Fall jener zwischen Deutschland und Frankreich. Um Bruderschaft braucht sich das Festival Ultraschall zwar nicht mehr zu bemühen – das erledigte vor genau 50 Jahren der Elysée-Vertrag – doch das Gedeihen der deutsch-französischen Aussöhnung lässt sich dafür umso entspannter zelebrieren und hinterfragen.

Wie klingt er heute, der deutsch-französische Friede, fragen die Veranstalter Rainer Pöllmann (Deutschlandradio Kultur) und Margarete Zander (Kulturradio rbb) und bekommen darauf gemischte, wenig eindeutige Antworten. Politisch gesehen würde dies als Zeichen der Nähe wohl positiv gedeutet. Aber welche Rolle spielt das, wenn man vor allem gute neue Musik hören möchte?

Zu Festivalanfang kommt die junge Generation französischer Komponisten zu Gehör, und zwar so ausgiebig, dass bei eisigen Temperaturen in der St. Elisabeth-Kirche Konzentrations- und Genussfähigkeit einzufrieren drohen. Da kann auch die tropische Klangkulisse „Antropofagia“ für E-Gitarre und großes Ensemble des brasilianischen DAAD-Stipendiaten Arthur Kampela nicht helfen. Naiver Klangnaturalismus schafft einen Raum, in den sich die E-Gitarre einen eigenen elektronischen Raum höhlt: Zwei gegensätzliche Welten wachsen erstaunlich organisch zusammen und gehen in ihrem Bewusstsein für Klangoberfläche Verbindungen mit der suggestiven Welt von Philippe Hurels „Tombeau in memoriam Gérard Grisey“ wie mit der traditionsaffinen Gefallsucht von Pascal Dusapins „Trio Rombach“ ein. Hier wäre selbst der Abgrund parfümiert, wenn es ihn gäbe.

Föderalismus versus Zentralismus? Was die elektronische Musik betrifft, ein hinfälliger Gedanke, denn beide Länder gravitieren hier um ihr Zentrum: das IRCAM in Paris und das SWR-Experimentalstudio in Freiburg. Als Forschungslabore sind sie Rivalen, im Konzert vereinen sie ausnahmsweise ihre Kräfte. Was es künstlerisch bringt? Schwer festzustellen. An Philippe Manourys Streichquartett mit Elektronik Tensio wird zumindest klar: Mit der Qualität der Technik steht und fällt die wahrgenommene Qualität elektroakustischer Werke. Nicht ohne Faszination hört man sich in den Grenzbereich des technisch Möglichen hinein, um dann nachzuvollziehen, wie die verkabelten „Forschungsobjekte“ (Quatuor Diotima) in subtilen Schritten die musikalische Kontrolle an eine übermenschliche Macht verlieren.

Ein Fragezeichen steht neben dem Höhepunkt des franco-allemannischen Festival-Schwerpunkts. Nach etlichen Ansprachen französischer und deutscher Staatsrepräsentanten am Vorabend des Elysée- Vertragsjubiläums harrt man des Auftragswerks Après tout (dt. „nach all dem“) von Fabien Lévy, aber feierlich erscheint die Stimmung an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz nicht. Man ahnt, was kommt: unverjährte Betroffenheit, wortreich, klangvergessen. Alles andere wäre unangebracht. Intelligente Programmdramaturgie rettet den schwierigen Abend: Sie flankiert Lévys Werk zur Linken mit Stockhausens „Menschen, hört“ für Vokalsextett, eine raumübergreifende Vision von Verbrüderung in Form eines klanglich-kosmischen Aufgehens. Als Träger der Planeten durchschreiten die Neuen Vocalsolisten Stuttgart den Raum, verlassen ihn singend, dehnen ihn klanglich ins Unendliche aus und lassen uns darin zurück. Alleine? Im Gegenteil.

Zu Lévys Rechten wiederum saust Christoph Ogiermanns Parole wie ein Fallbeil auf die empfindlich betretene Stimmung herab. Elektronisch harsch verhackte, verzerrte, aus allen Ecken gebrüllte Floskeln wie „Ist ja auch Teil meiner eigenen Geschichte“ stellen die Wirkung öffentlicher Weichenstellungen angesichts privater Selbstermächtigung in- frage. Kein Wunder, dass sich der ein oder andere die Ohren zuhält – und dadurch quasi zu einem Teil der Inszenierung wird.

Den Trend, sich über unkonventionelle Veranstaltungsorte der Stadt auszubreiten, hat Ultraschall von den Festivalgeschwistern Club Transmediale und Märzmusik erfolgreich adoptiert. Weniger bürgerlich- stigmatisierte Spielstätten wie Berghain, Tempodrom und FritzClub sollen helfen, die neue Musik aus ihrer elitarisierten Stellung zu befreien. Keine Frage: bei zehn Festivaltagen tut der Szenenwechsel gut. Doch ein neues Gehäuse für ein gewöhnliches Ensembleprogramm garantiert noch kein neues oder gar junges Publikum.

Dass „die Neue Musik heute einfach dazugehört“, wie Margarete Zander nach dem Konzert des Ensemble Modern im FritzClub suggeriert, bleibt Wunschdenken. Eine besondere Ausstrahlung verleiht in diesem Programm gerade die historische Dimension von Luciano Berios Werk „Differences“ für fünf Instrumente und Tonband (1959): Elektronik aus einer Zeit, in der sie eine Errungenschaft war, besticht im instrumentalen Zusammenspiel den heutigen Hörer mit einem unwiederbringlich existentiellen Unterton.

Auch wenn sich eine latent didaktische Tendenz durch die zweite Festivalhälfte zieht, so muss man erkennen, dass die vielen historischen Rückbezüge einem potentiell neuen Publikum die Tür tatsächlich weit aufhalten. Von Exklusivität keine Spur beim ganztägigen Programm „Piano plus“ im Radialsystem. Viel zu selten bietet sich etwa die Gelegenheit, an Schönbergs sämtlichen Klavierwerken den Schritt zur Zwölftonmusik prozessual nachzuvollziehen, noch seltener in so greifbarer Plastizität wie in Pi-Hsien Chens Spiel.

Wie präsent Schönbergs abstraktes Konstrukt auch 100 Jahre später noch ist, verdeutlicht die Nebeneinanderstellung der konkret bildhaften Musik aus dem Zyklus „My Window“ des zeitgenössischen chinesischen Komponisten Lei Liang. Heldenhaft bestreitet auch das begabte junge Klaviertrio Catch seinen Dauereinsatz an diesem Tag und verschwindet zum Schluss gleichsam in Mark Andres Werk „..als 1...“. Leises, ausgedehntes Kratzen, Schlürfen und Pochen lässt glauben, die Musik bestehe nur noch aus langen Atemzügen. Maximale, fesselnde Präsenz aus maximaler Reduktion.Barbara Eckle

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