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Kultur: Mecklenburgs Gedächtnis

Überraschungen waren eigentlich nicht zu erwarten, als sich letzte Woche gut zwei Dutzend Menschen trafen, um über einen Mann zu diskutieren, der gern als das "Gedächtnis Mecklenburgs" bezeichnet wird: Uwe Johnson, geboren am 20. Juli 1934 im pommerschen Cammin und gestorben in England mit noch nicht 50 Jahren.

Überraschungen waren eigentlich nicht zu erwarten, als sich letzte Woche gut zwei Dutzend Menschen trafen, um über einen Mann zu diskutieren, der gern als das "Gedächtnis Mecklenburgs" bezeichnet wird: Uwe Johnson, geboren am 20. Juli 1934 im pommerschen Cammin und gestorben in England mit noch nicht 50 Jahren. Die Sekundärliteratur über den Schriftsteller ist inzwischen umfangreicher als dessen Werk. Er war zwar ein DDR-Autor, konnte aber bis zur Wende dort nicht gelesen werden.Das Erinnern an Johnsons 65. Geburtstag ("Jetzt wäre er reisemündig", hieß es auf der Tagung) war eine Art Heimspiel. Der erst seit Februar 1998 bestehende und sehr rührige Verein "Kultur-Schmiede Recknitz" hatte zu einer Seminar-Woche in das gleichnamige Dorf bei Güstrow geladen. Dort hatte der Elfjährige Johnson das Kriegsende erlebt und war dann bis zum Abitur 1952 in Güstrow zur Schule gegangen. In Regnitz präsentierte Johnsons "Banknachbar" Heinz Lehmbäcker (Jahrgang 1933) eine beeindruckend schöne "Collage aus Bildern und Briefen" über Sheerness, die kleine Seestadt an der Themsemündung, in der der Autor von 1974 bis zu seinem Tod lebte. Über die rund 150 Briefe und Postkarten, die sich Johnson und Lehmbäcker zwischen 1952 und 1983 schrieben, referierte Eberhard Fahlke vom Johnson-Archiv Frankfurt/Main.Das Motto des Seminars, bei dessen Eröffnung sich der Schweriner Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur durch seinen Staatssekretär Manfred Hiltner/SPD vertreten ließ, lieferte der 1979 geschriebene Johnson-Text "Versuch, eine Mentalität zu erklären - über eine Art DDR-Bürger in der Bundesrepublik Deutschland". Die Diskussionen über Johnsons Texte führten gottlob schnell weg vom Etikett des "Dichters beider Deutschland", als der Johnson allzu oft und gern bezeichnet wird. Stattdessen wurde im Verlauf des Seminars deutlich, daß Johnsons Beschreibung der ehemaligen DDR-Füchtlinge (". . . wären zu haben gewesen für ein gesellschaftspolitisches Engagement, das dem Selbstverständnis der Bundesrepublik zu mehr Wirklichkeit verhelfen wollte, was Rechtssicherheit, soziale Gerechtigkeit, Verständigung mit den osteuropäischen Nachbarn und Kriegsopfern angeht") nach wie vor aktuell ist und gelesen werden kann als "Versuch gegen den heutigen westdeutschen Zeitgeist".Neben aller Diskussion war auch genug Raum für Sentimentalitäten: "Als unsere Selbstbefreiung 1989 vom Westen nicht erkannt und anerkannt wurde, entstanden Verletzungen und Empfindlichkeiten", erklärte in Recknitz die Berliner Psychotherapeutin Annette Simon. Ihre scharfsinnigen Analysen bekamen einen persönlichen Unterton, als sich herausstellte, daß sie als Tochter von Christa Wolf persönliche Erinnerungen an Johnson hat: "Johnson saß bei uns am Küchentisch, massig, groß und oft angetrunken", wußte sie zu berichten und erzählte, daß sie sogar als Kleinkind dabei war, als ihre Mutter, Uwe Johnson, der aus Thüringen stammende Münsteraner Germanist Manfred Jäger und Hans Mayer in Leipzig studierten ("In der Pause wurden meine Windeln gewechselt").Ein druckreifes Ergebnis der Gespräche über den nicht mehr anwesenden Schriftsteller wird es nicht geben. Zusammenfassend läßt sich im Rückblick aber sagen: Das Nachdenken über die deutsche und vor allem Mecklenburger Vergangenheit und das besondere Thema von Johnsons Schreiben - die Mitschuld der Deutschen an Hitlers Gewaltherrschaft und deren Folgen - bleibt auch Jahre nach Johnsons Tod irritierend aktuell. Auch, weil das Gespräch über unterschiedliche Mentalitäten "Wege für eine gemeinsame Zukunft" aufzeigen könne, wie Hendrikje Burmeister, Schülerin des John-Brinckman-Gymnasiums in Güstrow - Johnsons ehemaliger Schule -, treffend zusammenfaßte. Der jetzt mit EU-Mitteln geförderten Kultur-Schmiede ist deshalb Erfolg bei ihrer Bemühung um den "kaum gelesenen Schriftsteller" zu wünschen. Im September dieses Jahres wird dann in Neubrandenburg wie in jedem zweiten Jahr der Uwe-Johnson-Preis in Höhe von 25 000 Mark an den Berliner Autor Gert Neumann verliehen: Willkommener Anlaß für die nächste Johnson-Tagung.

PETER NÖLDECHEN

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