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Kultur: Mehr Diktatur wagen

„Schönheitskonferenz“ in der Deutschen Oper

Womöglich wäre diese „Schönheitskonferenz“ an der Deutschen Oper ein sinnliches Vergnügen geworden, hätten, wie angekündigt, Frank Castorf und Markus Lüpertz teilgenommen. Wer weiß. Aber vom wagnerfirmen Volksbühnenchef ist keine Rede mehr, und der Platz des Malerfürsten auf dem Podium bleibt zwei Stunden lang so anklagend leer wie eine jungfräuliche Leinwand. Es müssen sich also andere jener Frage widmen, die Intendantin Kirsten Harms zur Eröffnung der neuen Spielzeit – die ja den Frauen gehören wird: Turandot, Helena, Venus, Carmen – zur Begrüßung ins Rund wirft wie einen brokatenen Fehdehandschuh: „Kann uns die Sehnsucht nach Schönheit helfen, Gegensätze in der Gesellschaft zu überwinden?“ Es sei vorweggenommen: Niemand hat eine Antwort.

Nirgendwo wird vollendeter in Schönheit gestorben als in der Oper, wo vor dem Todesröcheln noch die Arie steht, das Thema scheint durchaus am Platze zu sein. Und der Kulturhistoriker Manfred Osten gibt sich als charmanter Moderator auch alle Mühe, eine Fundamentaldebatte über romantisch verwurzelte Schönheitsideale und die ästhetische Erziehung des Menschen in Gang zu halten. Allein, nach wenigen Minuten sind sich alle einig, dass man sich über Schönheit nicht einigen kann und reden lieber über das, was ihnen so auf dem Herzen liegt.

Zu bestaunen ist eine bemerkenswerte kulturkonservative Allianz zwischen dem Musikkritiker Jürgen Kesting und der Wagner-Sopranistin Anja Silja, die mit Aplomb verkündet: „Die wahre Schönheit liegt im Minimalismus“, und angeekelt über vollgestellte Bühnenbilder spricht, in denen man den Parsifal vor lauter Gerümpel gar nicht mehr erkenne. Kesting greift das dankbar auf, doziert über den Kulturverfall und verfeuert vor jeder Ausführung Zitate von Adorno oder Nietzsche, die wie Meteoriten ins Parkett donnern.

Dann wird das wahre Reizthema der deutschen Seele verhandelt: Bayreuth. Kesting ruft: „Katharina Wagners Interviews zeugen von einem Geisteszustand, der dringend der Annahme bedarf!“ Und: „Public Viewing ist genau das, was Wagner nicht wollte!“ Silja immerhin versucht sich an einem schönheitsverwandten Sujet, der Erotik, und durchleuchtet die Liebesqualitäten im Wagner-Kosmos: „Der Tannhäuser ist, wie viele Männer, die dauernd neue Frauen brauchen, nicht wirklich potent. Wieland Wagner war eine ähnliche Figur.“ Dazwischen sitzt, gut gelaunt und anekdotenselig, der Präsident der Berliner Akademie der Künste Klaus Staeck, der über den Kunstgewerbeladen seiner Mutter, seine besten Plakate und die Kompromiss-Sucht der Demokratie referiert. Sehr kurz scheint die Möglichkeit zum echten Dissens auf, als Silja funkelnden Blickes orakelt: „Sind die Menschen nicht beunruhigt, weil es zu viel Demokratie gibt? “ Aber auch dieser beherzte Anti-Brandt-Versuch (Mehr Diktatur wagen!) verpufft letztlich in unschöner Harmonie. Es hat schon seinen Grund, dass in der Oper gesungen wird, nicht geredet. Patrick Wildermann

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