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Kultur: Mehr nicht

Theatertreffen: Der Fall Kampusch im Konjunktiv

Natürlich, dürfen darf man das schon, man darf alles, wenn man’s nur kann, in der freien Kunst. Aber kann man das heute noch können: dreißig Jahre nach Ernst Jandls „Aus der Fremde“ wieder ein Drama einzig und allein im Konjunktiv zu schreiben? Und das ausgerechnet beim Berliner Theatertreffen zeigen, wo die Berliner Schaubühnen-Inszenierung mit dem phänomenal konjunktivischen Peter Fitz als Jandls Doppelgänger zumindest zur besseren Gedächtniskultur gehört.

Aus dem Akademietheater der Wiener Burg wurde also eine Inszenierung von Kathrin Rögglas „Die Beteiligten“ ins Berliner Festspielhaus gekarrt und auf der hier wesentlich größeren Bühne monumental aufgeblasen. Kathrin Röggla, knapp 40, aus Salzburg und Berlin, ist eine begabte Autorin. Doch die kaum verständliche Theatertreffen-Einladung war eine Überfrachtung. Jandl hatte den Intim-Alltag eines schrulligen Schriftstellers in seinem ironisch als „Sprechoper“ bezeichneten Stück verfremdet, indem das Direkteste ins Indirekte verrückt wurde. Das hatte einen schönen Irrwitz.

Röggla nimmt die jahrelange Entführung eines jungen Mädchens und den auf die Fälle Natascha Kampusch und Josef Fritzl anspielenden Rumor von Medien, Psychologen, Nachbarn und anderen angeblich „Beteiligten“ zum Anlass, das allgemeine Hörensagen und Spekulieren (im doppelten Sinne) in die indirekte Quasselrede zu rücken. Jeder zitiert nur, was er gehört oder gesagt habe. Klebrige Halbdistanz. Das ist ein Einfall. Mehr nicht.

Dass im Umfeld von Kindesmissbrauch, von heimlicher Gewalt und unheimlichen Sex- und Allmachtsfantasien die mediale Geilheit und gesellschaftliche Geschäftigkeit inklusive aller therapeuthischen Helfersyndrome peinliche Urständ feiert – muss man für diese Einsicht extra ins Theater gehen? Und ein Stück mit nichts als eben dieser gut gemeinten Botschaft schreiben?

Regisseur Stefan Bachmann hat die kleine Sechs-Personen-Rederei nun mächtig aufgetunt: mit Falco-Songs, urmenschhaften Nackt-Kostümen und Affenmenschen, vor allem aber mit Videos österreichischer Alpen- und Seelandschaften und einem showtanzenden SS-Offizier im vollen schwarzen Lederwichs: Als wären alle Kinderschänder nur österreichische Hinterwäldler und jeder Inzest-Fritzl auch ein historisch kontaminierter Privat-KZ-Kommandant. Wer hier genauer hinschaut und hinhört, den muss es grausen vor so viel Einfalt. Und Mitmachen. Im „medienkritischen“ Kulturmedienbetrieb.

Einmal heißt es, auf Natascha Kampusch gezielt: „Ich liefe Gefahr, eine Prinzessinnendiktatur zu errichten.“ Ach je. Die Akteure, unter ihnen Barbara Petritsch, Jörg Ratjen und Katharina Schmalenberg, spielen das hingebungsvoll. Der Rest war Claque. Peter von Becker

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