zum Hauptinhalt

Kultur: Mehr Zuckerbuch, weniger Pleiten Inge Feltrinelli bei den Berlin- Brandenburgischen Buchwochen

Das Lamento reißt nicht ab. Verlage und Buchhandlungen stöhnen über Umsatzeinbrüche, Apokalyptiker sehen die Kulturtechnik des Lesens bedroht.

Das Lamento reißt nicht ab. Verlage und Buchhandlungen stöhnen über Umsatzeinbrüche, Apokalyptiker sehen die Kulturtechnik des Lesens bedroht. Dennoch reist die Branche von einem Event zum anderen – wohl um sich gegenseitig der Krise zu versichern. Das es anders kam, als in der Schaubühne am Lehniner Platz die 11. Berlin-Brandenburgischen Buchwochen eröffnet wurden, hatte mit Inge Feltrinelli zu tun, die mit Klaus Wagenbach den Stand der Dinge erörterte. „Krise?"– Inge Feltrinelli wiegelt ab: „Haben wir immer gehabt." Ihr Verlag, zu dem ein 97 Buchhandlungen umfassendes Vertriebssystem gehört, hat gerade die Kette des Mitbewerbers Rizzoli gekauft. Sohn Carlo legt zurzeit in Neapel einen Bücherladen mit der renommierten Musikhandlung Ricordi zusammen. Diebisch freut sie sich: Die jungen Leute kaufen eine „blöde Platte“, dann müssen sie „kilometerweit an Büchern vorbei“, am Ende kaufen sie etwas davon.

In Italien herrscht ein unverkrampfterer Umgang mit der heiligen Ware Buch. Sonst könnte man wohl kaum „mehr attraktive Fernsehsendungen über Bücher“ fordern – auf besten Sendeplätzen. Hier wirkt die Tradition nach, in der Giangiacomo Feltrinelli sein berühmtes Verlagshaus in den 50er Jahren gründete. Er war eben nicht nur der mythenumwobene militante Linksintellektuelle und als Millionär lange Zeit bester Beitragszahler des italienischen PCI. Der Mann wollte Bücher verkaufen. Flipperautomaten, Dartspiele oder Jukeboxen gab es früh schon in seinen Läden, im Dienste des Lesens.

Klaus Wagenbach hingegen bricht eine Lanze für den unabhängigen Kleinverlag. „Wir müssen unsere Kategorien aus dem Text gewinnen“, erklärt er. Das mache freilich nur Sinn, wenn es andere Verlage mit anderen Kategorien gäbe. Nur so entsteht jene Vielfalt, die von den Großkonzernen durch Fülle ersetzt wird. Eigentlich müsste Wagenbach frohlocken, ist doch sein Verlag für die Branche etwa das, was der SC Freiburg für die Bundesliga war: ein ökonomisch nicht eben hochpotenter Schönspieler. Und nun, da die Großen des Geschäfts davon reden, wieder auf Inhalte zu setzen, scheinen seine Standards endlich verbindlich zu werden.

In diesem Jahr stehen die Buchwochen unter dem Motto „Ich lese – Bücher eröffnen Welten“: ein Stoßgebet der Verleger und Buchhändler. Damit ist noch nicht gesagt, was eigentlich gelesen wird, hier werden nationale Differenzen sichtbar. Italienische Literatur hat auf dem deutschen Markt immer noch einen Bonus. Selbst wenn, wie Klaus Wagenbach sich wehmütig erinnert, die Hausse von 1978 bis 86 vorüber ist, als Pasolinis „Freibeuterschriften“, Calvinos „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ oder Ecos „Name der Rose“ die hiesigen Lesesessel im Sturm eroberten. In Italien dagegen, so Inge Feltrinelli, gab es nur eine große deutsche Welle in den 60ern: als Grass, Johnson, Weiss, Handke, Dürrenmatt und Frisch zu ihrem Verlag kamen: „Die Deutschen lieben die Italiener, aber die Italiener lieben die deutschen Autoren nicht." Nicht einmal Bernhard Schlinks Weltbestseller hat sich durchgesetzt, dafür ist Fred Uhlmanns hierzulande fast unbekannte Novelle „Der wiedergefundene Freund“ von 1971 kanonisch.

Der schmale Buchwochen-Etat erlaubt es kaum, ausländische Autoren einzufliegen. Was in den etwa 100 Veranstaltungen von Angermünde bis Wittstock geboten wird, beruht vorwiegend auf dem Engagement der kleinen Buchhandlungen. In Rundtischgesprächen wird über „Sinn und Zukunft des Lesens" debattiert werden, Kinderbücher sind wichtig, Rolf Hochhuth berichtet in der Reihe „Mein erstes Buch“ über erste Lektüreerfahrungen. Neben dem literarischen Establishment – von Arnold Stadler über Peter Härtling, Urs Jaeggi, Hans-Ulrich Treichel oder Christa Wolf – bleibt auch noch Raum für „Ereignisliteratur“ von Atak und Ahne. Ein Leckerli stellt Paoli Guillaumes Sammlung von Manifesten und Faulheitspapieren der „Glücklichen Arbeitslosen“ dar. „Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche“ heißt das Projekt. Das dürfte ganz im Sinne von Giangiacomo Feltrinelli sein. Der hatte weiland den Vorschlag unterbreitet, die Arbeitszeit zu verkürzen, um den Leuten Lesezeit zu lassen. Um Ideen zu entwickeln, die das Faktische wunderbar hinter sich lassen, waren Bücher schon immer hilfreich.

11. Berlin-Brandenburgische Buchwochen, 20.10. bis 11.11.. Infos: 030-263 91 811 und unter www.berlinerbuchhandel.de

Zur Startseite