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Kultur: „Mehrdeutigkeit ist die stärkste Waffe der Kunst“

Heute eröffnet das Iran-Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Zwei iranische Künstler sprechen über Zensur, Mut und Veränderung

Sie sind gleich alt, kommen beide aus dem Iran, haben im Ausland gelebt und zeigen nun Ihre Werke auf der Ausstellung „Entfernte Nähe“ in Berlin. Dennoch: Parastou Forouhar lebt seit 1990 in Deutschland, Farhad Moshiri ist nach einem Studium in den USA nach Teheran zurückgekehrt. Wie gut sind die Kontakte zwischen Künstlern in Iran und den Iranern, die im Ausland leben?

PARASTOU FOROUHAR: Das Interesse ist groß, ich kenne die meisten Künstler aus der Ausstellung, viele auch persönlich. Man verfolgt die Arbeit der anderen sehr genau, ist miteinander befreundet. Wobei ich schon merke, dass sich mein Blick mit der Zeit verändert hat, distanzierter geworden ist.

FARHAD MOSHIRI: Ich hingegen kannte ursprünglich keinen der beteiligten Künstler, auch Parastou Forouhar nicht. Jedenfalls nicht persönlich. Ich habe sie erst durch die Kuratorin Rosa Issa kennengelernt.

Ist die Kunstszene in Iran so wenig vernetzt?

MOSHIRI: Als ich Mitte der Achtzigerjahre aus den USA zurückkam, habe ich die ganze Kunstszene erst einmal gemieden. Ich fand vieles in Iran so überwältigend, dass ich erst einmal Zeit brauchte. Ich musste erst einmal mit mir selbst klarkommen. In den letzten zwei Jahren ist das anders geworden, da hatte ich zehn Ausstellungen in Europa.

Was hat Sie bei Ihrer Rückkehr in den Iran so überwältigt, dass Sie kaum arbeiten konnten?

MOSHIRI: Es war das Land, in dem ich verwurzelt bin, aber gleichzeitig hatte ich gerade den Kulturschock USA hinter mir. Die iranische Kultur ist, verglichen mit der Hollywood-Kultur, sehr komplex. Was mich interessiert, sind die neuen Schichten, die in einem Land entstehen, das in den letzten Jahrzehnten kaum dem Westen ausgesetzt war. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit den Bildern, die von den westlichen Medien über den Iran verbreitet werden. Da ist immer alles sehr finster, sehr negativ. Ich sage nicht, dass das alles falsch ist. Aber ich mag keine Porträts, die einseitig sind.

Frau Forouhar, Sie leben seit 1990 in Deutschland. Wie stark sind Sie noch mit den iranischen Traditionen verbunden?

FOROUHAR: Ich versuche, meine Wurzeln nicht zu verlieren. Aber Identität ist ein Prozess, kein Zustand. Natürlich verändere ich mich dadurch, dass ich in Deutschland lebe. Andererseits war ich in den vergangenen Jahren immer wieder in Iran, hatte dort engen Kontakt zum Machtapparat...

... Sie versuchten, den Mord an Ihren Eltern aufzuklären, die als iranische Oppositionelle im November 1998 in ihrem Haus in Teheran erstochen wurden.

FOROUHAR: Diese Erfahrungen sind automatisch in meine Arbeit eingeflossen. Aber die westlichen Erfahrungen auch: die Möglichkeit, frei denken zu können, sich Distanz zu diesem Land erlauben zu können.

Dennoch arbeiten Sie mit traditionellen Elementen wie Schrift, Ornament oder dem Tschador. Was fesselt Sie daran?

FOROUHAR: Die iranische Kultur ist voller Symbole. Doch diese Symbole, die einmal die Kraft hatten, eine Idee zu transportieren, sind zu Klischees geworden. Deshalb versucht man in der Kunst derzeit eher, diese Last loszuwerden. Es geht darum, Klischees in anderen Kontext zu setzen. Und das dann mit Themen wie Gewalt, politischer Gewalt zu verknüpfen, das finde ich sehr spannend.

Das klingt nach einer kritischen, eher an westlichen Freiheitsbegriffen orientierten Kunst. Haben Sie auch die Möglichkeit, Ihre Arbeiten im Iran auszustellen?

FOROUHAR: Meine letzte Ausstellung im Iran, in der Galerie Golestan in Teheran, ist verboten worden. Das heißt, nicht direkt verboten, zumindest nicht schriftlich. Es gab einen Telefonanruf bei der Galeristin, und ihr wurde gesagt, es wäre besser, wenn sie die Ausstellung nicht zeigt. Das war ein Tag vor der Eröffnung. Eine Begründung gab es nicht, aber es war eine klare Drohung. Ich wollte meine Serie „Blind Spot“ zeigen, die sich mit Verschleierung beschäftigt. Dann haben wir einfach die leeren Bilderrahmen gezeigt, und es gab eine Preisliste mit der Beschreibung dazu. Die Werke sind gut verkauft worden! (lacht) Das hat mich an traditionelle persische Hochzeiten erinnert, wo man die Braut auch nur per Beschreibung aussuchen konnte.

Fühlen Sie sich in Iran auch persönlich bedroht? Es gab vor zwei Jahren bei einer Gedenkveranstaltung für Ihre Eltern massive Übergriffe und Prügeleien der Polizei.

FOROUHAR: Es ist immer mit Risiko verbunden, in den Iran zu fahren. Aber es gibt Dinge, die man tut, obwohl man weiß, dass es riskant ist. Ich versuche, mit meiner Angst umzugehen.

Wie ist es bei Ihnen, Herr Moshiri? Wie frei sind Sie in der Wahl Ihrer Mittel und Themen?

MOSHIRI: Als ein Künstler, der im Iran lebt, kann ich es mir nicht leisten, sehr direkt zu sein. Im Interesse meiner Arbeit wie meiner Existenz im Iran vermeide ich es, politische Themen direkt zu attakieren. Deshalb thematisiere ich Dinge ästhetisch, kümmere mich vor allem um die Form.

Sind Sie einmal in Kontakt mit Zensur gekommen, ist eine Ausstellung verboten worden?

MOSHIRI: Zu einer Zeit habe ich viele Filmszenarien eingereicht, und die meisten wurden zurückgewiesen. Natürlich auf sehr zivilisierte Art: Man gibt eine Mappe ab, bekommt zu hören: „Das ist ja schrecklich“, sagt „Vielen Dank“ und geht wieder nach Hause. Es ist keine lebensbedrohliche Situation. Aber man lernt eine Lektion. Man lernt: Wenn ich in Iran arbeiten möchte, muss ich an meiner Arbeit etwas verändern. Entweder man entscheidet sich und verlässt das Land, um in Freiheit das tun zu können, was man will, oder man bleibt und versucht, dort zu arbeiten. Das inzwischen viel gerühmte iranische Kino war das Produkt dieser Art von Druck. Die Leute haben etwas Schlechtes in etwas Gutes verwandelt. Diese Zugeständnisse sind auch eine Erkenntnis: Sie helfen, eine eigene Sprache zu finden.

Vielleicht erklärt das auch den großen Erfolg von Künstlern wie Shirin Neshat und Abbas Kiarostami in Europa. Dass sie eine Sprache gefunden haben, die gleichzeitig auf konkrete politische Verhältnisse reagiert und doch so symbolisch ist, dass jeder sie verstehen kann.

MOSHIRI: Mehrdeutigkeit ist die stärkste Waffe, die wir Künstler haben. Es hilft dem Werk immer, je mehr Freiheit der Zuschauer hat, selbst zu interpretieren. Vieles kann man nicht offen ausprechen, das kann einen nur in Schwierigkeiten bringen.

Hat sich das nach den letzten Parlamentswahlen in Iran, die ein Wiedererstarken der Konservativen mit sich brachten, verschlimmert?

MOSHIRI: Ich war seit den Wahlen nicht mehr im Iran. Ich glaube aber nicht, dass es sichtbare Veränderungen geben wird. Vielleicht werden die staatlichen Mittel für die Kunst gekürzt, um dafür Moscheen zu renovieren. Aber wir Künstler arbeiten zum Glück sehr billig, so dass wir nicht abhängig von offizieller Unterstützung sind. Außerdem glaube ich, das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Staatspräsident Chatami hat ein Klima der Toleranz gebracht, das man nicht mehr abschaffen kann. Natürlich werden Künstler beobachtet, scharf beobachtet, aber ich weiß von keinem direkten Angriff. Eher subtile Drohungen, seltsame Anrufe, bei denen es heißt: „Warum machst du das? Überlege es dir noch mal.“ Trotzdem haben wir auch Künstler, die sehr offen das Regime kritisieren.

Erwarten Sie Restriktionen, wenn während der Ausstellung in Berlin zu deutliche Kritik an der iranischen Regierung geübt wird?

MOSHIRI: Ich glaube nicht. Nicht direkt jedenfalls. Da ist die Gefahr zu groß, selbst als die Bösen dazustehen. So lange dieser Ausstellung die öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland gilt, wird man in Iran wahrscheinlich sehr cool reagieren und versuchen, die Sache zu ignorieren.

FOROUHAR: Das war ja auch schon bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an Shirin Ebadi so. Auch da hat Chatami gesagt: Das ist nicht so wichtig. Ein Nobelpreis für Physik oder Literatur, ja, das wäre etwas gewesen. Aber ein Friedensnobelpreis? Das hat man im Iran bewusst heruntergespielt.

Das Gespräch führte Christina Tilmann .

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