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Kultur: Mein elektronisches Auge

Wer so geschickt die Göttin des Zufalls umwirbt, hat auch die Zeit bald in der Tasche.Schlafend überläßt der Künstler die Rolle der Intuition der Eigendynamik der Technik.

Wer so geschickt die Göttin des Zufalls umwirbt, hat auch die Zeit bald in der Tasche.Schlafend überläßt der Künstler die Rolle der Intuition der Eigendynamik der Technik.So zumindest stellte es Alexander Hahn dar, der anläßlich seiner Video-Installation "I came here to sleep" im Neuen Berliner Kunstverein einen Vortrag zum "Lichtgedächtnis" hielt.Der Schweizer Videokünstler, der mehrere Jahre in New York, Rom und als DAAD-Stipendiat (1991/92) in Berlin verbracht hat, reist oft auf den Spuren von alten Universalgelehrten wie Athanasius Kirchner oder Tycho Brahe.In der Fremde angelangt, gibt er sich am liebsten schlafend Gerüchen, Geräuschen hin, für die die Rezeptoren der Sinne am besten arbeiten, wenn das Bewußtsein flachliegt.Das erscheint dem belesenen Künstler produktiver, als mit Touristenströmen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, die er schon aus dem Reiseführer kennt.In Tunesien ließ er bei solchem Schlaf 1997 sein elektronisches Auge, die Videokamera, wachen und durch die Lüftungsöffnungen in der Mauer aufnehmen, was draußen vor dem Haus geschah.So ist "I came here to sleep" als Einladung an den Zufall zu sehen.

Hahns Respekt vor dem Zufall ist Ergebnis einer lebenslangen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wissenschaft, ihren Entdeckungen, Annahmen und Irrtümern.Er liebt die logischen Systeme und erzählt begeistert die Geschichte eines Papstes, der von den Folgen einer ungünstigen Planetenkonstellation geheilt werden konnte: In einem geschlossenen Zimmer simulierte sein Arzt das Universum und korrigierte dort den Lauf der Sterne.Solche Vorfahren der virtuellen Realität haben Hahn zu einer traumhaft schönen Animation inspiriert, in der Sonnen und Planeten durch Türen und Fenster in ein Zimmer fliegen und um eine rätselhafte Mauer in der Mitte kreisen.500 Stunden Rechenzeit hätte diese Installation für den neuen Hauptsitz der Schweizer Telecom gekostet, wäre alles glatt gelaufen, sagt Hahn und berichtet dann von den Fehlermöglichkeiten.Doch weil er sich vor Fehlern nicht fürchtet, wird sein Verhältnis zur Technik immer intimer.Am nächsten Donnerstag gibt es noch einmal Gelegenheit, dem Künstler auf seinen verschlungenen Pfaden durch die Architekturen von Licht, Gedächtnis und Computern zu folgen: bei einem Vortrag in der Humboldt-Universität (Hauptgebäude Unter den Linden 6, Raum 3075, 20 Uhr).

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr.128/29, bis 16.Juni; Dienstag und Donnerstag 14-21 Uhr, Mittwoch und Freitag 12-17 Uhr.

KATRIN BETTINA MÜLLER

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