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Kultur: Mein heimliches Kameraauge

Ausgegraben: Atom Egoyans Kinodebüt „Speaking Parts“

Warten auf das Neue bringt oft die Wiederkehr des Alten. Da es noch etwas dauern kann, bis „Ararat“, der neue Film von Atom Egoyan, anläuft, findet erstmals „Speaking Parts“ von 1989 seinen Weg in deutsche Kinos. Und siehe da: Er passt perfekt zur Wiederentdeckung der achtziger Jahre, hallt darin doch das Echo damaliger medientheoretischer Diskurse.

Eingebettet in kühle Bilder und Klänge erörtert „Speaking Parts“ die Funktionen von Film und Video. Sie dienen nicht nur als Erinnerungskonserven, sondern als Projektionsfläche ganzer Gefühlspaletten. Mehr noch: Durch mediale Präsenz scheinen die Beteiligten sich erst ihrer Identität zu versichern. Fragt sich nur welcher. Egoyans Arbeiten („Exotica“, „Das süße Jenseits“, „Felicia, mein Engel“) fokussieren oft die Macht der Bilder, forschen eigenwillig und selbstreferenziell nach individueller und nationaler Identität.

Der 1960 in Ägypten geborene Armenier wuchs in Kanada auf, der Heimat des Medientheoretikers Marshall McLuhan. „Jeder Sinn kann, falls er bis zur höchsten Intensität gesteigert wird, sich auf die anderen Sinne betäubend auswirken“, schrieb McLuhan 1962 in seiner „Gutenberg-Galaxis“. Egoyans „Speaking Parts“ spielt mit dieser Idee und zeigt anhand eines Dreiecksverhältnisses die Auswirkungen des permanenten Bilder-Schauers im Videozeitalter.

Traumatisiert versucht die Drehbuchautorin Clara, den Tod ihres geliebten Bruders zu verarbeiten. Er starb an einer Organtransplantation, die ihr das Leben rettete. Als Zeichen der Sühne will sie nun ihre Erinnerungen und Emotionen in einem authentischen Film potenzieren. Weitere Beteiligte: Shane und Lisa, sie putzen in Claras Hotel die Zimmer. Shane ist ein wortkarger Narziss und träumt von einer Schauspielerkarriere. Als Statist schlich er bislang stumm durch unzählige Filme. Erst mit den Sprechrollen, den „speaking parts“, beginnt seine neue Existenz. Da er Claras Bruder ähnelt, erliegt sie seinem Charme.

Eine Affäre beginnt, die Shane zum Film katapultiert – in der Rolle von Claras Bruder. Tragisch nur, dass inzwischen ihr Script umgeschrieben und aus dem Filmprojekt eine Talkshow wurde. Bleibt noch die rätselhafte Lisa, ein nervend selbstsüchtiges Wesen. Ihre unerwiderte Liebe zu Shane hat sich in Obsession verwandelt. Jede freie Minute verbringt sie mit „seinen“ Videos, jagt das Objekt ihrer Begierde in den flimmernden Bildern. „Fühlst du, dass er dich in der gleichen Art spürt, wie du dich selbst wahrnimmst?“ wird sie eine Braut fragen und damit den Kern ihrer eigenen Verunsicherung treffen. Ohne Bezug zur Realität hat sie sich in ihrem eigenen Film verloren.

Nüchtern zeigt Egoyan das Dilemma der Drei, ihre Abhängigkeit, ihre Sprachlosigkeit. Um ihrer Privathölle zu entkommen, projizieren sie intime Sehnsüchte, sogar ihr Selbstbild auf die Mattscheibe, bis sie sich völlig verlieren. Alles ist manipulierbar, nichts wirklich. So treibt Egoyan die Geschichten und Identitäten auf die Spitze – bis zum Kollaps.

In Berlin Im fsk am Oranienplatz (OV)

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