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Kultur: Mein Klon gehört mir

Ödipus lässt grüßen: Michael Winterbottoms Sciencefiction-Drama „Code 46“

Michael Winterbottom schreckt vor keinem Genre zurück. Mit wechselndem Erfolg: Das Flüchtlings-Roadmovie „In This World“ hat vor zwei Jahren bei der Berlinale den „Goldenen Bären“ abgestaubt, auf den Sex- und Rock’n’Roll-Streifen „9 Songs“ reagieren Kritik und Publikum eher ratlos. Nun inszeniert Winterbottom ein Sciencefiction-Drama mit nostalgischem Wiedererkennungswert: „Code 46“ kommt mit zwei Wochen Verspätung nun auch in Berlin ins Kino.

Diese Episode spricht für sich: Ein drittklassiger Entertainer singt in einem abgewetzten Nachtlokal in Schanghai, Kippe und Cocktailglas in der Hand, „Should I Stay Or Should I Go“ von The Clash. In fünfzig oder hundert Jahren regiert noch immer die Subkultur von 1982. Rauchen, Saufen und Punk-Songs – selbst wenn ein Teil der Menschheit eines Tages geklont wird, ist alles wieder so wie früher! Eine Schreckensvision? Nicht unbedingt.

Das Filmthema verkündet der Titel: „Code 46“. So viele Chromosomen hat der Mensch. Davon abgeleitet wird das oberste Gesetz: Ein Paar mit identischen Genen darf zusammen keine Kinder bekommen. Die bipolare Welt, auf der dieses Verbot fußt, ist gnadenlos: Entweder man wohnt im Wolkenkratzer oder in der Wüste, entweder man gehört dazu oder vegetiert als Ausgestoßener im Dreck. Wer mitmacht, wird belohnt, wer nicht pariert, verliert die Existenzberechtigung.

Millionen Menschen, die im Moloch Schanghai sitzen, wollen raus. Doch die Stadt darf nur verlassen, wer die nötigen Papiere hat. Sie werden von der Angestellten Maria (Samantha Morton) gefälscht. Der brave Familienvater William (Tim Robbins) soll den Fall für eine Versicherung aufklären – was ihm durch Hellseherei sofort gelingt. Dann verliebt er sich aber in Maria, die exakt die gleichen Gene besitzt wie seine Mutter. Er schläft mit ihr, sie verstoßen beide gegen „Code 46“ und riskieren dafür die Höchststrafe: ewige Verbannung. Maria wird gezwungen, ihn zu vergessen; William hingegen fühlt sich vom Klon seiner Mutter verhext, er ist Maria verfallen. Ödipus lässt grüßen, doch der irrt am Ende als Blinder in der Fremde umher, während William, vom Typ her ein Stehaufmännchen, das Zeug zur Tragödie fehlt. Was also tun? Lustvoll watet Winterbottom durch die Untiefen der griechischen Mythologie und lässt Maria die Ödipussi spielen.

Samantha Morton und Tim Robbins ergänzen sich prima: Sie hat ein tolles Gesicht, und er weiß, wie man’s anschaut. Trotzdem bleibt die Affäre unterkühlt, denn sie dient hauptsächlich als Aufhänger für Gesellschaftskritik. Frank Cottrell Boyces Drehbuch vermittelt die Botschaft: Der Einzelne unterwirft sich der totalen Kontrolle eines höllischen Systems. Für Liebe ist da kein Platz. Zu diesem Schluss wären wir auch ohne Marias Kommentare aus dem Off gekommen. Nebenbei fasziniert die Tatsache, dass sie beim Sex weiße Feinripp-Hemdchen trägt. Wir haben es geahnt: Neben der Punkmusik bleibt für immer die Baumwoll-Kochwäsche.

In Berlin ab morgen im Kino Central

Uta-Maria Heim

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