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Kultur: Mein lieber Schwan!

Das Beste zum Schluss: Andrew Davis dirigiert „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen

Hitzewelle auf dem Grünen Hügel: Während Bayreuth unter den hochsommerlichen Temperaturen der Hundstage ächzt, wächst von Tag zu Tag beim Festspielgast der Durst nach etwas Heißblütigerem als weihevollen Epen, nach den hemmungslos herausgeschleuderten Leidenschaften nach den hitzigen Duett-Duellen und inbrünstigen Canzonen eines „Otello“ oder einer „Macht des Schicksals“. Die sind an der hehren Wagner-Walstatt natürlich streng verboten, doch Andrew Davis scheint die heimlichen Wünsche des Publikums zu ahnen und dirigiert in der Abschlussvorstellung des ersten Festspielzyklus den „Lohengrin“ kurzerhand als italienische Oper.

Mit fetzigen Stretta-Aktschlüssen, hitzigen Ausbrüchen und sinnlich wogenden Kantilenen macht Davis dem Schwan mächtig Feuer unterm Bürzel, erinnert nachdrücklich daran, dass der „Lohengrin“ im 19. Jahrhundert außerhalb Deutschlands oft auf italienisch gegeben wurde und maßgeblich dazu beitrug, Wagners Musik jenseits der Alpen durchzusetzen. Der Gralsritter-Saga bekommt die Infusion mediterranen Temperaments glänzend, zumal Davis dem fabelhaften Festspielorchester bei einer sizilianischen Grabentemperatur von 47,2 Grad Celsius einen überraschend körperhaften, direkten Klang entlockt, und die legendäre Mischklang-Akustik des Festspielhauses über Nacht gegen den knochentrockenen Sound eines italienischen Operntheaters ausgetauscht worden zu sein scheint. Schon die schimmernden Streicherstrahlenbündel des Vorspiels gewinnen bei Davis muskuläre Spannung, statt auratischer Statik herrscht schon hier ein theatralischer Vorwärtsdrang, werden Energien aufgestaut, die zugleich als Anschub für den energischen Eröffnungschor des ersten Aktes fungieren.

Der Schwanenritter hat bei diesem rasanten, jedoch nie verhetzten Tempo gar keine andere Wahl, als menschliche Züge zu zeigen und in der Brautgemachszene von seinem hehren Schönklangsockel zu steigen. Doch Peter Seiffert, auch nach über zehn Jahren mit dieser Rolle immer noch der wohl weltbeste Lohengrin, zeigt, dass sich tenoraler Schmelz, Textdeutlichkeit und Dramatik nahezu schlackenlos verschmelzen lassen, seine Lebens- und Bühnenpartnerin Petra-Maria Schnitzer hält mit schlankem Sopran, schönen Pianissimo-Effekten und jugendlichem Timbre als Elsa wacker mit. Die beiden klingen so beinahe wie Radames und Aida, die Fieslinge Ortrud (Judith Nemeth) und Telramund (John Wegner) als Schurkenpaar offenbaren sich dagegen als nahe Verwandte von Verdis Italoschotten Lord und Lady Macbeth, Roman Trekel als galliger Heerrufer und Reinhard Hagen als König Heinrich entwickeln eine vitale Comprimario-Energie. Und der blendend disponierte Festspielchor (Einstudierung Eberhard Friedrich) entfaltet Phonstärken, unter denen jede Nabucco-Kulisse erzittern würden.

Für dieses unbändig lebensstrotzende, frische Opernspektakel liefert Keith Warners Inszenierung den wirkungsvollen Rahmen. Bei ihrer Premiere vor fünf Jahren stand Warners konservative, bewusst naive Lesart mit ihrer Mixtur aus Fantasy-Ritterromantik und symbolträchtiger Überhöhung im Schatten von Peter Konwitschnys Hamburger Klassenzimmer-„Lohengrin", der bis heute die Sichtweise dieser Oper so geprägt hat wie keine andere Inzenierung. Inzwischen ist die Irritation über Warners Bayreuther Schwäne und Schildknappen längst abgeklungen, während die Meriten dieses „Lohengrin“, vor allem die atmosphärische Dichte und Bildkraft der Märchenbilder, deutlicher hervorgetreten – auch weil die übrigen Inszenierungen der letzten Jahre, Philippe Arlauds statisch uninspirierter „Tannhäuser“ und Jürgen Flimms visionsloser „Ring“, noch weit schwächer ausfielen.

Ein Abend, der alle Wagnerianer glücklich macht. Und alle Verdianer noch dazu.

Die Bayreuther Festspiele dauern noch bis einschließlich 28. August.

Jörg Königsdorf

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