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Kultur: Mein preußisches Arkadien

Eine große Potsdamer Ausstellung zum 225. Geburtstag des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel

Am 1. Dezember 1824 war Schinkel auf der Heimfahrt von seiner zweiten Italienreise kurz in Weimar bei Goethe zu Gast. Der Dichterfürst war begierig, wie er dem befreundeten Komponisten Zelter schrieb, durch den Baumeister „einen hellen Blick über das neue Italien“ zu erlangen. Goethes klarsichtiges Urteil steht wie eine Charakterisierung des ganzen Schinkel da: „Daß ein Mann wie dieser, der in der Kunst so hoch steht in kurzer Zeit viel zu seinem Vorteil weghaschen könne, ist naturgemäß, und es wird ihm gewiß bei den nächstbedeutenden Unternehmungen sehr zustatten kommen.“

Die „nächstbedeutenden Unternehmungen“ waren in erster Linie das (Alte) Museum, um dessen Inneneinrichtung es Schinkel bei seinen Besuchen in italienischen Galerien und Kirchen zusammen mit seinem jungen – und bald mit ihm eng befreundeten – Reisebegleiter zu tun war: dem Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen. Weitere Projekte waren Schloss Klein-Glienicke mit dem Kasino hoch über dem Havelufer sowie Charlottenhof und die Römischen Bäder im neu hinzugefügten Südteil des Parks von Sanssouci – Bauten, in denen sich eine heitere Italianità ausspricht.

Italien war das Bildungserlebnis des jungen Schinkel, der 1803 als 22-Jähriger für fast zwei Jahre in den Süden reiste und dort prägende Eindrücke erfuhr. Gerade in der vom äußersten Südwesten Berlins sich nach Potsdam hin erstreckenden und in den Gütern westlich von Sanssouci sich verlierenden Schlösser- und Villenlandschaft ist diese Prägung erfahrbar. Nirgends ist Preußen so italienisch, nirgends auch Schinkel so gelöst.

So ist es nun Potsdam, das Karl Friedrich Schinkel zum 225. Geburtstag eine umfassende Ausstellung ausrichtet; nicht Berlin, wo er, nach früher Jugend in Neuruppin, sein Leben verbrachte, bis er 1841, von jahrzehntelanger Fleißarbeit verbraucht, allzu früh verstarb. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zeigt eine in dreizehn Kapitel gegliederte Ausstellung zu Leben und Werk, für die – wohl dem Ort geschuldet – der wenig geglückte Titel „Schinkel – Künstler, Preuße, Brandenburger“ gewählt wurde. Denn wenngleich Schinkel in seiner protestantischen Ethik den preußischen Berufsmenschen verkörpert, war er doch alles andere als eine Regionalgröße. Vielmehr war er, mit dem Titel der Ausstellung des Londoner Victoria & Albert Museums von 1991 – „A Universal Man“. Wenige Architekten, ja Künstler überhaupt – er war zugleich Maler, Bühnenbildner und Gestalter – übten einen solch nachhaltigen Einfluss aus und blieben mit ihrem Œeuvre bis auf den heutigen Tag so lebendig wie Schinkel.

Gewiss liegt das auch daran, dass er von jedermann vereinnahmt wird – zumal in der Debatte um das Stadtbild Berlins, um nur eine Kontroverse zu benennen. Gerade darum muss man fragen, warum sich keine der großen Berliner Institutionen bemüßigt fühlte, an die herkulische Aufgabe der Gesamtdarstellung von Schinkels Lebenswerk zu gehen – immerhin 25 Jahre nach dem letzten, noch in Ost- und West-Berlin zweigeteilten Versuch, der kleinliche Vereinnahmungen erkennen ließ.

Nichts darum gegen das mutige Potsdamer Unternehmen, standen doch lediglich 700 Quadratmeter in den beengten Verhältnissen des Geschichtsmuseums sowie 110 Originale insbesondere von Zeichnungen und Aquarellen zur Verfügung, während ein Großteil des Werks über elektronische Medien vorgestellt wird. Dies durchaus mit Gewinn, wenn etwa das Diorama vom Moskauer Stadtbrand 1812 in computeranimierter Form eine Ahnung davon gibt, wie derlei Dio- und Panoramen auf das Publikum ihrer Zeit gewirkt haben mögen.

Mit solchen für den Tagesgebrauch geschaffenen Arbeiten wurde Schinkel der breiten Berliner Öffentlichkeit bekannt, ehe die wirtschaftliche Erholung Jahre nach der napoleonischen Niederlage zu den bekannten großen Bauaufträgen führte, voran das Schauspielhaus und die Neue Wache.

Die Ausstellung selbst geht nicht chronologisch vor, sondern sucht das Riesenwerk thematisch, beinahe mehr aber noch biografisch zu ordnen. Als Person ist Schinkel erstaunlich schwer zu fassen. Es ist, als ob er ganz in seinem Werk aufginge. Das ist kaum verwunderlich in Anbetracht eines 12- bis 14-stündigen Arbeitstages, angesichts der herausragenden Bedeutung des Karriere-Baubeamten aber doch bemerkenswert: 1838 erreichte Schinkel als Oberlandesbaudirektor die höchste Stufe unterhalb des letztentscheidenden und oft genug dazwischenfuhrwerkenden Königs. Wenige Zeichnungen seiner geliebten Frau Susanne und der vier Kinder verweisen darauf, welchen emotionalen Rückhalt er in der Familie fand. „Könnte ich Dich doch nur einen Tag hier haben“, schrieb er aus Neapel an „Meine teuerste Susanne“, und beim Gedanken an die Seinen empfand er „eine unendlich wohlthätige Empfindung“. Zugleich zog er die Bilanz, dass er mit dieser Reise für sein Leben „völlig beruhigt sein“ werde – weil er, dies der tiefere Sinn, damit die Höhe der von ihm erstrebten Bildung an der Antike erklommen habe.

Soeben erschien Band 19 des seit 1931 geplanten, riesenhaften Schinkelwerks, der sich mit den beiden Italienreisen und ihrem in Tagebuchform abgefassten sowie mehr als 700 Blätter umfassenden zeichnerischen Ertrag befasst. Hier ist Schinkel ganz bei sich. Gerade in Potsdam wäre der Zugang zu Schinkel sinnfälliger, hätte man die lebensprägenden Italien-Erlebnisse, die – in Ermangelung des damals noch unzugänglichen Griechenland – die gesamte Antike meinen, zum Ausgangspunkt einer ortsspezifischen Ausstellung gewählt. Immerhin publizierten die Veranstalter in Zusammenarbeit mit dem Schinkel-Zentrum der TU einen zweibändigen „Führer zu seinen Bauten“, der die rund 150 erhaltenen Bauwerke nicht nur in Berlin und Potsdam, sondern von Aachen bis St. Petersburg vorstellt und damit die wichtigste Anregung gibt: zu den Bauwerken selbst hinzufahren.

„Wir genossen bei heitersten Wetter den Anblick der herrlichen Stadt“, heißt es im September 1824 im Tagebuch über eine Bootsfahrt hinaus in den Golf von Neapel. Eine solche „herrliche Stadt“ hat Schinkel auch für Berlin erträumt und ansatzweise verwirklichen können. Beinahe eher noch gelang es ihm, die Potsdamer Havellandschaft zu einem preußischen Arkadien zu formen. Über die Größe von Schinkels idealistischen Bildungshoffnungen und die oftmalige Vergeblichkeit seiner gleichwohl nimmermüden Anstrengungen zu berichten, hätte der Potsdamer Ausstellung eine ernstere Note verliehen. Denn was als Riesenwerk vor uns steht, ist gleichwohl nur Fragment – ein Steinbruch, in dem noch Generationen mit Gewinn schürfen können.

Potsdam, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neu- en Markt, bis 9. Oktober. Kein Katalog. – K. F. Schinkel, Führer zu seinen Bauten, 2 Bde., 24 €, im Buchhandel 29,90 €. – Karl Friedrich Schinkel. Die Reisen nach Italien 1803-1805 und 1824. Lebenswerk, Band XIX. 688 S., 721 Abb., 168 €. Alle im Deutschen Kunstverlag, München/Berlin 2006.

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