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Kultur: Mein Spaten ist die Feder

Man hat Seamus Heaney, der heute 60 Jahre alt wird, den besten irischen Dichter seit Yeats genannt, in dessen Todesjahr er geboren wurde.Seine Popularität in Irland wie im englischsprachigen Raum ist unvergleichlich.

Man hat Seamus Heaney, der heute 60 Jahre alt wird, den besten irischen Dichter seit Yeats genannt, in dessen Todesjahr er geboren wurde.Seine Popularität in Irland wie im englischsprachigen Raum ist unvergleichlich.Dabei ist er kein zugänglicher Dichter.Er hat seine Gedichte die adäquaten Vokabeln für all das genannt, was ihn geprägt habe.Heaney wurde im nordirischen Castledawson als ältestes von neun Kindern geboren.Sein Vater war Bauer, und die agrarische Herkunft ist den Bildern, dem genauen "Schätzblick" der Gedichte, ihrem karg-schönen Melos, dem Ernst, dem reichen Vokabular eingeschrieben.

Sein Gedicht "Vom Graben" (Digging) wird gern als Programm zitiert.Es erinnert an den Vater, der gräbt, und an den Großvater, der mehr Torf an einem Tage stach "als irgendein andrer im Toner-Moor".Dem lyrischen Ich, unverblümt Heaney, fällt auf: "um ein Mann zu werden, wie sie waren, hab ich keinen Spaten".Wie man in der politischen Lyrik das Schwert mit der Feder zu vertauschen meinte, so hier also den Spaten: "Zwischen Finger und Daumen/ Halte ich die stämmige Feder./ Damit werde ich graben."

Die Arbeit des Grabens hat Heaney ernst genommen.Er hat sich - vergleichbar den von ihm bewunderten Kollegen Philip Larkin, Geoffrey Hill oder Ted Hughes - in die altenglische Dichtungstradition zurückbuchstabiert, "die latente Lüsternheit der Vokale" kritisiert und die Kraft der Konsonanten gepriesen - etwa am Beispiel von Gerard M.Hopkins, dessen konsonantische Verse "zwischen Zähnen und Zunge prasselten und prallten".Die mittelenglische Stabreimdichtung, Balladen, die Traditionen der Volkspoesie, der Norden überhaupt als poetisch-politische Landschaft bestimmen die Konturen seiner Lyrik.

Das Gedicht "Norden" endet mit dem mythisch verbrämten Auftrag: "Leg dich in den Wortschatz, erforsche/ Windung und Schimmer/ deines gefurchten Hirns.// Schreibe im Dunkel./ Harre auf langem/ Raubzug des Nordlichts,/ doch keiner Lichtkaskaden." Sein Werk hat in Deutschland regelmäßig Beachtung und Zuneigung gefunden, auch vor der Verleihung des Nobelpreises 1995.1984 waren zweisprachig die "Ausgewählten Gedichte 1965-1975" erschienen, von Henriette Beese gekonnt übersetzt.Richard Pietraß gab 1987 den Band "Norden" in eigener Übersetzung heraus.Schön auch der Band "Die Hagebuttenlaterne/ The Haw Lantern" (1987/1990), dessen Titelgedicht fast programmatisch Heaneys Vorstellung von der eingeschränkten Leuchtkraft heutiger Lyrik ausspricht."Die winterharte Frucht erglüht zur Unzeit,/ Apfel des Dorns, ein kleines Licht für kleine Leute,/ das nur von ihnen will, daß sie den Docht/ der Selbstachtung am Leben halten,/ und es nicht nötig hat, mit Glanz zu blenden." Heaney, dessen Werke auf deutsch überwiegend im Münchner Hanser Verlag vorliegen, ist nicht nur ein volkstümlicher, sondern zugleich ein hochgelehrter Dichter.Er hat studiert und erst als Lehrer, dann als Professor in Belfast, Dublin, Harvard und Oxford unterrichtet, auch viele Übersetzungen und Essaybände veröffentlicht.Sein Engagement für den Standpunkt der Kunst, für die Arbeit an Sprache und Formtradition, schließt auch eine politische Entscheidung ein: gegen einen ausweglosen direkten Aktionismus, doch unentrinnbar seinem "Stamm" verbunden.Heaneys Lyrik ist nicht auf marmorne Dauer aus."Wie bewohnbar ist vollkommene Form?" fragt Heaney und setzt seine Porträtgedichte, seine Landschaften, "Peilungen", seine bäurischen und seine intellektuellen "Alphabete" gegen eine teilnahmslose Kunst: "Was nützt ein Ton oder ein Vers, der weder/ Anfechtung zuläßt noch Bestätigung?"

ALERXANDER VON BORMANN

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