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Kultur: Mein Wagen, meine Burg

Don DeLillo schickt einen Börsenspekulanten in einer Luxusstretchlimousine durch Manhattan

Wenn schon keine wirklichen Abenteuer mehr möglich sind, gibt es doch immer noch Wall Street. Das Börsenfieber und der Crash der letzten Jahre lieferten aufregende Geschichten, Enthüllungen und kriminelle Energien, die jetzt vor allem den Sachbuchmarkt beschäftigen. Glaubt man hingegen „Cosmopolis“ dem neuen Roman von Don DeLillo, dann passierte in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nichts Außergewöhnliches, und die New Economy war nicht mehr als eine Variation traditioneller US-amerikanischer Wesenszüge. DeLillo, 67, hatte sich mit seinen Büchern immer wieder ins Herz der amerikanischen Kultur begeben. Dort hat er Baseball, die Börse, den Konsum und John F. Kennedy gefunden und unermüdlich Verbindungen zwischen ihnen hergestellt. Die Hausse gab ihm die Gelegenheit, seine Themen neu zu kombinieren, und wider Erwarten hat sie sein Konzept kräftig durchkreuzt.

In „Cosmopolis“ geht es um den Mythos grenzenlosen Reichtums. Und im Mittelpunkt steht eine imposante Stretchlimousine. DeLillo hatte schon immer die Neigung, die Figuren in ihren Fetischen erkennbar werden zu lassen. Kultobjekte wie der Baseball aus „Underworld“, mit dem Bobby Thomson 1951 den historischen Sieg der Giants über die Dodgers besiegelte, oder jene Tabletten in „Weißes Rauschen“, die versprechen, die Angst vor dem Tod zu besiegen.

In dem Luxusauto spielt sich, abzüglich einiger kleiner Ausflüge, das Romangeschehen ab. Im Zuge der Erzählung, die einen Tag in New York umfasst, wird das Interieur der Limousine offenbart. In ihm finden sich Datenschirme, Mikrowelle, Herzmonitor, ein Marmorboden und eine Trennscheibe mit einem „Zedernholzrahmen, in den das Fragment einer ornamentalen Kufi-Handschrift eingearbeitet war, Pergament, spätes zehntes Jahrhundert, Bagdad, unbezahlbar“. Sie waren höllisch dekadent, die Dotcom-Milliardäre, und natürlich lebten sie wie ein Alien auf diesem Planeten.

In dieser Behausung hält sich der Börsenspekulant Eric Packer an diesem Tag auf, denn seine ebenfalls luxuriöse Wohnung hat er verlassen, um sich am anderen Ende Manhattans die Haare schneiden zu lassen. Während der stockenden Fahrt stoßen nacheinander seine Kontaktpersonen zu ihm: die Betriebsphilosophin, der Chefanalyst und der Arzt, der die tägliche Routineuntersuchung vornehmen muss. Konturen erhalten die Nebenfiguren nicht, sie gehören zum Inventar wie der Chauffeur und die Leibwächter.

Es ist eine großartige Idee von DeLillo, die Handlung in einer Limousine zu situieren. Der Global Player, der in dieser klaustrophobischen Atmosphäre seine Geschäfte abwickelt, entspricht so gar nicht der offiziellen Sichtweise, die die grenzüberschreitende Kraft einer neuen, kosmopolitischen Klasse und Lebensweise propagiert. In „Cosmopolis“ hat der Autor die Borniertheit der Börsenjahre ad absurdum geführt. Alles ist auf engstem Raum konzentriert. Während eines Tages, auf einer Straße, in einer Luxuskarosse, werden die Ideale einer „New-frontier“- Generation widerlegt, und das bis in die Dialogsätze hinein, die zwischen den Figuren herumstehen wie Designermöbel.

Das Problem ist allerdings die Handlung, denn hier aktiviert DeLillo lediglich bewährte Erzählmuster. Bereits in den 70er Jahren äußerte er in einem Interview: „Die Menschen brauchen Grenzen, und wenn die Gesellschaft sie nicht in ausreichendem Maße vorgibt, treibt das entfremdete Individuum möglicherweise in etwas Tieferes und Gefährlicheres hinein.“ Regelmäßig mündete in seinen Romanen diese Diagnose in die letzte Handlungsoption eines entfremdeten, aber sinnversessenen Subjekts, in den Mord. „Cosmopolis“ bildet da keine Ausnahme.

Eric Packer ermordet ohne ein plausibles Motiv einen seiner Leibwächter, nachdem sein Finanzimperium kollabiert ist. Selbst gerät er ins Visier eines entlassenen Angestellten, der personifizierten Rache des kleinen Mannes. Im Hintergrund kursieren Gerüchte von einem Attentat auf den Präsidenten, und soziale Unruhen verschärfen das Chaos in der Stadt. Wieder gibt die Gesellschaft keine Grenzen vor, wieder sind es Einzelne, die herumballern. DeLillo spielt seine bekannten Gegensatzpaare wieder durch: Gewalt und Ordnung, Masse und Einzelner, Haben und Sein. Er verrät allerdings nicht, was dies alles mit der New Economy zu tun hat. Diese Zeit als Entgrenzung zu deuten, die soziale Gewalt provoziert, mag als Diagnose durchgehen. Aber DeLillo hat nicht berücksichtigt, dass Boom und Crash der 90er Jahre nicht ins Werk gesetzt wurden, um seine Thesen aus den 70er Jahren zu bestätigen.

„Cosmopolis“ untermauert, dass es schwer ist, ökonomisches Geschehen literarisch zu verarbeiten. William Gaddis hat mit „JR“ einen großartigen Roman über Geldströme und Finanzimperien geschrieben, allerdings in der Form der Satire und 20 Jahre vor der New Economy. „Cosmopolis“ hält dem Vergleich damit leider nicht stand.

Don DeLillo: Cosmopolis. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2003. 204 Seiten, 16,90 €.

Mario Scalla

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