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Kultur: Meine fremden Eltern

Wunderbar rührselig: „Das Glück der großen Dinge“ erfühlt die Lebenswelt eines Scheidungskinds.

Dass Patchwork-Familien ein Phänomen des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind, wird niemand bezweifeln. Immer mehr berufstätige Mütter, Scheidungen und nicht eheliche Lebensgemeinschaften: Das sind die sozio-kulturellen Merkmale, die das Entstehen dieser neuen Familien begünstigen. Nicht dass man je wirklich darüber nachgedacht hätte – aber auch schon zum Fin de Siècle zuvor waren in bürgerlichen Kreisen unkonventionelle Familienmodelle möglich oder auch notwendig.

Henry James’ 1897 veröffentlichter Roman „What Maisie Knew“ erzählt die Geschichte eines kleinen Londoner Mädchens, das zwischen seinen geschiedenen Eltern, deren wechselnden Partnern und dem zur allseitigen Entlastung angeheuerten Erziehungspersonal hin- und hergeschoben und so zum Spielball der unterschiedlichsten Interessen wird. Henry James hat dabei versucht, die Perspektive seiner sechsjährigen Titelheldin einzunehmen und zu beschreiben, wie sie die Ereignisse zu deuten und zu manipulieren versucht. Das liest sich dann etwa so: „Er konnte seine Stieftochter, so spürte Maisie, zärtlich lieben, ohne doch zu wünschen, dass man ihm schließlich (…) alle Verantwortung für sie aufbürde; so war es klar, dass seine Abreise einen Protest gegen diese Bürde darstellte.“

Die New Yorker Filmemacher David Siegel und Scott McGehee haben bereits mit „The Deep End“ (2001) und „Bee Season“ (2005) dramatische Familienkonstellationen inszeniert. Damit – und auch mit Henry James’ gewundener Romanvorlage – verglichen ist „Das Glück der großen Dinge“ eine einfache Geschichte. Der Schauplatz ist New York, die Protagonisten sind ein nicht mehr junges Elternpaar, sie Sängerin in einer aus der Mode gekommenen Band, er macht irgendwas mit Kunst und reist dafür viel herum. Julianne Moore spielt die drogenaffine Susanna kaum überraschend als haltloses, egozentrisches Nervenbündel. Dagegen wirkt ihr zukünftiger Ex-Mann Beale (Steve Coogan) distanziert und rational und freundlich – könnte schon sein, dass die kleine Maisie bei ihm besser aufgehoben wäre als bei ihrer instabilen Mutter.

Der Film beginnt mit heftigen Auseinandersetzungen des Ehepaars, die Maisie (fast zu süß und klug: Onata Aprile) scheinbar unbeteiligt hinnimmt. An ihrer Seite weiß sie immerhin das adrette Au-pair-Mädchen Margo (Joanna Vanderham), das sich liebevoll um sie kümmert. Die Ehe läuft aus dem Ruder, es beginnt der Scheidungsprozess und der Streit ums Sorgerecht, das schließlich zwischen den Eltern geteilt wird. Sobald das Urteil feststeht, interessieren die Eltern sich immer weniger für ihre Tochter; Beale heiratet schnell Margo, und im Gegenzug tut Susanna sich mit Lincoln zusammen, einem jungen Barkeeper (hübsch und zerzaust: Alexander Skarsgård). Und bald liegt es eher an den beiden neuen Partnern, sich um Maisie zu kümmern.

Herzzerreißend rührselig und trotzdem oder gerade deshalb wunderbar ist „Das Glück der großen Dinge“ – und am Ende gibt es sogar Anlass zur Hoffnung auf bessere Zeiten für Maisie, mit deren Augen man auf das befremdliche Gebaren der immer übertreibenden Mutter sieht; an deren Seite man in riesigen, leeren Lobbys sitzt und auf den verantwortungslosen Vater wartet; und mit deren Geduld man sich von mitleidigen Bekannten schlafen legen lässt. Das Mädchen mit der sommersprossigen Stupsnase und den riesigen Micky-Maus-Augen wirkt äußerlich fragil und verfügt doch über mehr innere Stärke als seine Eltern zusammen. Kein Wunder, dass Margo und Lincoln Maisie in ihre Herzen geschlossen haben, auch wenn sie mit ihrer Enttäuschung über das Scheitern ihrer eigenen Beziehungen beschäftigt sind.

Denn Maisie lehrt sie, sich über die kleinen Dinge zu freuen: eine Mini-Schildkröte, ein knallrotes Getränk in einem Cocktailglas, Steine am Strand und über eine für den nächsten Morgen angekündigte Bootsfahrt. Schon jetzt.

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