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Kultur: „Meine Hauptdarstellerin ist die Liebe“

Antonio Skármeta, Chiles Botschafter und weltberühmter Schriftsteller, verlässt Berlin. Ein Gespräch zum Abschied

In einem TagesspiegelInterview, das wir vor fünfzehn Jahren geführt haben, schwärmten Sie von Berlin. Heute verlassen Sie Berlin nicht nur als Schriftsteller, sondern als erster Botschafter Chiles in der neuen alten Hauptstadt. Hat sich Ihre Perspektive geändert?

Meine Perspektive hat sich insofern geändert, als die Stadt sich geändert hat. Aus meiner Sicht ist Berlin dazu verdammt, ein Symbol zu sein. In den dreißiger Jahren war es ein Symbol der ungeheuren und destruktiven Macht der Nazi-Bewegung, die zum Zweiten Weltkrieg führte. Berlin wurde als eine schreckliche Stadt angesehen, eine Stadt, die unter der Macht dieser Bewegung stand, die die ganze Welt verwundet hat. Nach dem Krieg blieb dann das geteilte Berlin übrig. West-Berlin, wohin mich das Schicksal brachte, war damals ein Fetzen der westlichen Welt, mitten in einem Land, wo der sogenannte realexistierende Sozialismus praktiziert wurde.

Sie erlebten West-Berlin als die typische Insel...

Es war typisch und ungewöhnlich zugleich. West-Berlin behauptete sich als eine Stadt, in der alle Freiheiten voll ausgelebt werden konnten, es war wie ein Leuchtschild für all das, was eine Gesellschaft sein konnte, wenn die Individuen totale Freiheit genießen. Ich erinnere mich an die ewigen Studenten, die die Kneipen mit ihren Gesprächen und ihrem Zigarettenrauch füllten. Sie interessierten sich für fremde Revolutionen und solidarisierten sich mit dem Kampf für die Demokratie in weit entfernten Ländern. Es war die goldene Zeit der Philharmonie und der Schaubühne. Ich empfand dies als Ausländer und Schriftsteller als außerordentlich angenehm. In einer dritten Phase, nach dem Fall der Mauer wird Berlin dann zum Symbol einer neuen Welt, die nach dem Ende der Bipolarität und des Kalten Krieges aufgebaut wird.

Und wie gelingt dieser Bau?

Heute will die ganze Welt wissen, was in diesem Epizentrum passiert und passieren wird. Ich glaube, dass alle Kulturen und Volkswirtschaften des ehemaligen Ostens in Berlin einmünden. Sie werden mit ihren Menschen, ihren Traditionen, ihren Ethnien Berlin verändern und sie werden Berlin auf eine andere Art und Weise wieder aufbauen. Berlin wird eine viel kosmopolitischere Stadt sein, viel wirrer, viel gemischter. Zur Zeit sieht man noch die Baukräne, man hört den Lärm und man spürt die wirtschaftliche Krise, weil der Sprung von einer subventionierten Stadt zur Hauptstadt Deutschlands sehr groß ist.

Für die Berliner selbst dominieren im Moment noch die Krisensymptome.

Aber Berlin ist ein Projekt, das sehr erfolgreich werden kann – und dies werden wir in den nächsten zehn Jahren sehen. Berlin hat für viele Menschen auf der ganzen Welt immer noch die gleiche Magie wie in den zwanziger Jahren, als Vladimir Nabokov und andere russische Emigranten hier lebten, als Christopher Ischerwoods „Good bye to Berlin“, später Vorlage für den Film „Cabaret“, geschaffen wurde. Das neue Regierungsviertel und der Potsdamer Platz bilden eine Insel der Zukunft, die aber von einem Meer der Vergangenheit umgeben wird. Mit dem Meer der Vergangenheit meine ich die schön renovierten repräsentativen Gebäude in Berlin Mitte, aber auch zum Beispiel den Hackeschen Markt, den Prenzlauer Berg, die heute an die Boheme der zwanziger Jahre erinnern. Berlin ist durchaus attraktiv als ein Mythos der Vergangenheit – und der Zukunft.

Sehen Sie Berlin schon als europäische Kulturhauptstadt?

In Berlin und allgemein in Deutschland werden großartige Literatur, Kino und Theater geschaffen, aber meistens nur für Deutsche. Deutschland ist ein sehr auf sich zentriertes Land, dies hat mit seiner Geschichte zu tun, mit seinem tragischen Wiederaufbau. Es gibt Ausnahmen wie Wim Wenders, dessen Filme „Der Himmel über Berlin“ oder „Buenavista Social Club“ weltbekannt wurden, aber ansonsten gibt es keinen deutschen Umberto Eco oder Gabriel García Márquez.

Deutschland hat immerhin einen noch fast frischen Nobelpreisträger.

Ja, Günter Grass und auch Hans Magnus Enzensberger werden in vielen Ländern anerkannt und bewundert, doch eher von Minderheiten. Dasselbe passiert mit der deutschen Musik, mit dem deutschen Rock oder dem Jazz. Die Deutschen, nicht nur in Berlin, sind sehr weltoffen, ihre Kultur ist großartig, aber in dieser Kultur steckt, anders als in den angelsächsischen oder romanischen Kulturen auch etwas Hermetisches.

Ihre Bücher, Herr Skármeta, sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden. Ihr letzter Roman, „Das Mädchen mit der Posaune“, handelt von der Zeit in Chile unmittelbar vor dem Sieg Allendes, aber neben dem Gesellschaftlichen ist immer wieder die Liebe Ihr großes, eigentliches Thema.

Ja. Die Liebe ist die treibende Kraft und mein wesentliches Thema, und der Grund dafür ist ganz einfach und kein Geheimnis: Von meinen ersten Kurzgeschichten bis zu meinem letzten Roman ist die Liebe die Antwort meiner Figuren auf eine Situation, eine Erfahrung, ein Gefühl, dass die Welt ein tragischer Ort ist, dass sie verwundbar sind und umgeben von Gefahren, von Tod und Vernichtung. Durch die Liebe leben die Menschen flüchtig zusammen und bilden sich ein, dass das Leben Sinn macht und dass ein bisschen Glück möglich ist. Deswegen ist die Liebe die Hauptdarstellerin aller meiner Erzählungen und Romane. Die glückliche Liebe, die unglückliche, die gemischte...

Warum ist die Hauptfigur dieses Buches eine Frau und warum schreiben Sie in erster Person? „Das Mädchen mit der Posaune“ ist aus Ihrer Generation und sie stammt so wie Sie aus einer Familie von Emigranten aus Dalmatien, so dass man denken könnte, sie ist Ihr weibliches Alter Ego. Ist es eine besondere Herausforderung für einen Mann, wie eine Frau zu schreiben?

Überhaupt nicht. Es gibt viele Romane, viele Erzählungen von männlichen Autoren, die von einer Frau erzählt werden. Die Sprache als Weg zur Welt ist allgemeingültig, und bei einer Trennung zwischen einer weiblichen und einer männlichen Sprache kann es sich nur um Schattierungen handeln. Und auch wenn das Geschlecht so wichtig wäre, mein Gott!, der Mann stammt selber von einer Frau, er hat die Schwester, er hat die Freundin, die Tochter, er hat die Geliebte, er hat die Frauen, von denen er träumt und die er nie erreicht hat, es gibt die Frauen, die er nie gekannt hat. Er ist umgeben von einer weiblichen Welt, die ihn reizt und zu der sein Instinkt ihn führt. Es ist also nicht verwunderlich, dass jemand, der in einer Welt voll mit Liebe und Verehrung für die Frau lebt, eine weibliche Figur als Erzählerin wählt.

Ist ein Roman für Sie dann auch eine imaginäre Autobiographie?

Ich bin als Autor in das Mädchen mit der Posaune verliebt. Ich bin einer aus ihrer Clique und bin immer in ihrer Nähe und meine Beziehung zu ihr ist voller Zuneigung und Liebe, also ist es gar nicht schwierig, eine weibliche Rolle zu schreiben. Aber sie ist kein weibliches Alter Ego. Sie ist eine Frau, so wie sie ist, und der Autor, der ihr die Stimme gibt, ist jemand, der ihr sehr nah steht. Nicht mehr und nicht weniger.

„Das Mädchen mit der Posaune“ ist das zweite Buch einer Trilogie. Wann werden wir das dritte Buch lesen können, und was machen Sie, wenn Sie als Diplomat nun wieder zum Dichter werden?

Ich habe die erste Version des erwähnten Romans, der diesmal in New York spielt, schon fertig, und wenn alles gut läuft, wird das Buch Ende 2003 erscheinen. Zu der zweiten Frage kann ich sagen, dass ich die drei Jahre des diplomatischen Dienstes in Berlin genossen habe, aber schon darauf brenne, wieder zur Literatur, auch zum Kino und Fernsehen, als meiner eigentlichen Berufung zurückzukehren. Ich glaube, dass der kreative Charakter, den der Präsident Chiles meiner Mission geben wollte, während dieser Jahre als Diplomat in Berlin deutlich geworden ist. Jetzt ist es Zeit, sich zurückzuziehen, und ich werde wie früher in Santiago de Chile leben.

Das Gespräch führte Maria Rosa Zapata de Polensky.

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