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Kultur: Meine Nacht mit der Mafia

Italien ist nicht nur das System Berlusconi. Aber es beunruhigt, weil dabei auch das Phantom des Organisierten Verbrechens ins Spiel kommt. Eine wahre Geschichte

Der jüngste Eklat wird in Silvio Berlusconis Karriere bald nur noch eine winzige Episode sein. Dennoch hat sein Auftritt im Straßburger Parlament wieder blitzartig klar gemacht, dass dieser Ministerpräsident Italiens kein mit gewöhnlichen Maßstäben und Umgangsformen zu fassender Politiker ist. Und das liegt nicht allein an Berlusconis Verständnis der Demokratie, die für ihn weniger das gewaltenteilende System des check and balance als eine plebiszitär begründete Basis der Selbstermächtigung sein soll.

Berlusconi kann öffentlich und im persönlichen Gespräch ebenso charmant, gewitzt und generös wirken wie im nächsten Augenblick (oder hinter den Kulissen seiner Medienwelt) rüde, kleingeistig, brutal. Diese wechselnden Gesichter und Masken haben allerdings auch andere Menschen, mit und ohne Macht. Dieser 66-jährige, 1,64 Meter große Tycoon aber besitzt auch Magie, und ihn umgibt als Magnaten und Multimilliardär wie keinen anderen westlichen Politiker die Aura des großen, des unermesslich großen Geldes. Schon das verleiht ihm, zumal als Repräsentanten eines Kernlandes des historisch-kulturellen Selbstverständnisses Europas, einen völlig anderen Status als dem österreichischen Provinzpopulisten Jörg Haider, über den die EU sich einst so gratismütig ereifert hat.

Doch da ist noch mehr: Berlusconi, den der „Spiegel“ diese Woche auf seinem auch in Italien vieldiskutierten Titelbild als „Der Pate“ („jetzt auch in Europa“) präsentiert, ihm haftet als Kehrseite seiner ständigen öffentlichen Präsenz auch das Geheime, das Geheimnisvolle an. Silvio Berlusconi ist für andere Regierungschefs der Europäischen Union, die doch alle mehr oder minder normal situierte, bürgerliche Berufspolitiker darstellen, ein sonderbar faszinierender und zugleich unheimlich wirkender Außenseiter. Es ist die lockende, die befremdende Aura und Magie wie auch beim Künstler oder beim großen Verbrecher. Man kann beide meist nie völlig erklären, fassen, durchdringen. Und geradezu rührend klingt es, wenn der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Müller über Berlusconi vom „Filz in Person“ spricht. Als reiche Filz zum Stoff, aus dem eine solche Karriere wächst.

Die beiden „Repubblica“-Journalisten Marco Tavaglio und Elio Veltri haben trotz vielfältiger Behinderungen und Bedrohungen bei der Recherche in ihrem 2001 erschienen Buch „L’odore dei soldi“ („Der Geruch des Geldes“) versucht, der „Herkunft und den Geheimnissen“ des Vermögens von Silvio Berlusconi auf die Spur zu kommen. Noch immer rätselt man, wie ein unbekannter, gerade 30-jähriger kleiner Bauunternehmer aus Mailand ab Mitte der sechziger Jahre fast über Nacht an enorme Stadtentwicklungsprojekte und phänomenale Kapitalinvestitionen gekommen ist. Der Verdacht lautet: als Strohmann, als Geldwäscher der Mafia. Doch das Geheimnis auch gerichtssicher zu erhellen, ist weder Travaglio und Veltri noch zahlreichen anderen Autoren (und Staatsanwälten) bislang gelungen.

Kommt die Mafia ins Spiel, steigert das alle mysteriösen Zusammenhänge von Politik, Wirtschaft und Verbrechen: ins Ominöse, Mythische. Die Mafia ist ein Phantom und zugleich real. An diesem Punkt nun werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Meine Nacht mit der Mafia.

Vor einigen Jahren wurde ich nach Neapel und auf die Insel Ischia im Golfo di Napoli eingeladen. Als Juror eines internationalen „Visconti-Preises“, der auf Ischia verliehen wurde, dem Liebes- und Lieblingsdomizil des 1976 verstorbenen Regisseurs Luchino Visconti. Die versammelte Jury diskutierte dann einen halben Tag lang heftigst über vielerlei Kandidaten aus der europäischen Film- und Theaterwelt – bis ein deutscher Kritikerkollege und ich als ausländische Gäste endlich merkten, dass die Preisverleihung an eine (wunderbare, weltberühmte) Filmschauspielerin, die zu dieser Zeit auch in italienischen Theatern auftrat, schon vorab beschlossen war. Die Jury war nur eine mit liebenswürdiger Generosität behandelte Scheinjury. Darauf reiste der deutsche Kollege wieder heim. Auch ich wollte meinen Rückflug nun umbuchen, doch ein römischer Journalist, den ich von anderen Veranstaltungen kannte, riet mir mit suggestiv raunenden Worten, unbedingt bis zur Preisverleihung zu bleiben. Dann würde es noch ein besonderes Fest geben, in einem sehr besonderen Haus. Mehr sagte (oder wusste) er nicht.

Nach der im Fernsehen übertragenen abendlichen Preis-Show am Hafen von Ischia wurden die Preisträgerin Irene Papas, der Schauspieler und Visconti-Favorit Helmut Berger mitsamt ein paar anderen Stars, Starlets und der Jury zum Hinterausgang eines Restaurants gebracht und in mehreren Wagen über enge Ziehwege hinauf in die nachtdunklen Berge der Insel gefahren. Ohne Angabe einer Adresse. Gehalten wurde schließlich vor einer weißen, hoch ummauerten Villa im Hang. Dort wurde jeder Gast vom Hausherrn mit Handschlag begrüßt.

Die Tür zu den Mördern

Wir nennen ihn Signor P. und sehen einen großen, riesenbabyhaft rundlichen Enddreißiger in hellem Anzug, äußerlich unprätentiös und kühl. In den weiten, marmorblanken Hallen des Hauses dominiert schwarzes Tuch bei den Herren, Schmuck und Haut bei den Damen, Blitzlichter von herumschwirrenden Fotografen. Es ist von Politikern, Verlegern, Wirtschaftsmenschen die Rede, und im illuminierten Garten mischen sich schwere Düfte, süßlich wie von Jasmin, dazu das üppige Buffet; es riecht tropisch, nach Blüte und Verwesung. Tatsächlich ist irgendetwas anders in diesem Haus als bei anderen Festen, und es sind nicht, Nebbich, die notorischen goldenen Wasserhähne oder die Zeichen des Kulturparvenüs: eine Madonna oder eine mittelalterliche Pergamenthandschrift, auf Sockeln ausgestellt. Ich will aus diesem Garten raus, auch aus diesem Haus, und suche eine Tür. Plötzlich stehe ich vor einer kurzen Treppe zu einem tiefer gelegenen Raum, öffne die nächste Tür und bin in einem verrauchten Billardzimmer. Darin nur Männer, andere Männer. Härtere Gesichter. Und das ist nun wie im Film: Hier wird kaum geredet, man spielt Billard, trinkt, raucht, und jeder Zweite trägt hier um Mitternacht eine dunkle Sonnenbrille. Alle in Anzügen, aber das lächerlich Erschreckende sind die Jungen. Die ganz jungen, die noch völlig ungeübten Bauernbuben, die in kümmerlichen, nicht schwarzblauen, sondern irgendwie hellbraunen Kombinationen stecken, mit schiefen Krawatten, ungelackt, mit Dreck unter den Fingernägeln, naiv und kindsköpfig. Was tun die hier? Und ich begreife, was zum Greifen nahe liegt: Das ist der Nachwuchs, Kindersoldaten, die dürfen schon mal mitspielen – mit den richtigen Killern. Es ist ein tödlicher Raum, in dem für den arglos Eingetretenen die Temperatur wie unter einer eisigen Klimaanlage abgestürzt ist. Niemand schaut auf, ich bin nur andere Luft, und ich kehre um. Bitte mit Hilfe einer befreundeten deutschen Italienkorrespondentin, die zum Visconti-Preis gekommen war, um ein Taxi.

Die große Geldwäsche

Unterwegs erzählt uns der Taxifahrer die zweite Geschichte des Abends. Signor P. hatte vor einigen Jahren von seinen Eltern eine kleine Wäscherei auf Ischia geerbt. Nur dieses eine Geschäft. Inzwischen aber reinigte seine Firma offenbar alle süditalienischen Flughäfen bis hinauf nach Rom, ebenso wie andere öffentliche Bauten, Krankenhäuser und Bahnhöfe. Und diese Gesellschaft? Der Fahrer lachte: „Wir wissen ja, wer von Neapel her auf unsere Insel kommt. Heute Abend waren hier fünfzig Abgeordnete und Senatoren aus Rom. E tutti mafiosi!“

Die Erzählung des Taxifahrers muss nicht unbedingt stimmen. Aber sie passte zu dem, was ich gesehen und später zur Bestätigung gehört habe. Obwohl darüber nicht gerne genauer geredet wurde. Auch der Journalistenkollege aus Rom hielt sich, über Andeutungen hinaus, lieber bedeckt. Und Silvio Berlusconi, der auch die Schauspieler und das Showbusiness liebt, war damals wohl nicht dabei.

Aber ich habe an die Geschichte und ihre aktuellen Analogien erst unlängst denken müssen – bei einem Interview im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung“ mit Giancarlo Cimoli. Der ist der Chef der italienischen Eisenbahn und beim Sanieren offenbar viel erfolgreicher als sein deutscher Kollege Mehdorn. Cimoli spricht über Umstrukturierungen und massive Kostensenkungen: „Zum Beispiel bekamen externe Reinigungsfirmen neue Verträge und bis zu 50 Prozent weniger Geld. Das war in einem Land, in dem es Mafia und Camorra gibt, sehr kompliziert. Viele Waggons haben gebrannt, und wir haben eine Menge, sagen wir: ,gute Ratschläge’ erhalten...“ Diese „Ratschläge“ wurden abgelehnt.

Der wachsende Weltkonzern

Natürlich ist Italien nicht nur mafiös und nicht nur Berlusconi-hörig, sondern immer wieder und überall auch das fabelhaft zivilcouragierte Gegenteil. Auch hat das Organisierte Verbrechen, dessen Jahresumsatz amerikanische Cosa-Nostra-Jäger schon vor 30 Jahren allein in den USA auf das Mehrfache des damals größten Weltkonzerns General Motors schätzten, längst alle nationalen Grenzen und italo-amerikanischen Traditionen gesprengt. Was wir mit dem (eigentlich nur sizilianischen) Sammelbegriff Mafia nennen, ist insbesondere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum gesamteuropäischen Phänomen geworden, mit Wirtschaftsaktivitäten jenseits der klassischen Branchen Drogenhandel, Glücksspiel, Prostitution oder einfacher Schutzgelderpressung.

Und man sieht diese Ehrenwerte Gesellschaft, sie bleibt keineswegs völlig verborgen. Ich habe im grandiosen normannischen Dom von Monreale, dort, wo auf den Anhöhen oberhalb von Palermo die Bosse des besseren Klimas wegen ihre Villen haben, eine Hochzeit zweier großer „Familien“ gesehen, mit Rolls Royce vor der Kirche und deren offiziellen Segen vorm Altar – und vielen Männern, die alle den gleichen blitzenden Brillantring tragen: am kleinen Finger der nicht in Unschuld gewaschenen Hand. Man kann in bestimmten Restaurants noch immer die Schutzgeldeintreiber erkennen, und mitunter einen großen Fisch in seinem Kreis. Zwar ist gerade in Palermo dank der (ermordeten) Richter Falcone und Borsellino, dank ihrer furchtlosen Kollegen und des langjährigen Bürgermeisters Leoluca Orlando viel Ermutigendes gegen die Mafia geschehen.

Doch Berlusconis Justizpolitik hat auf fast allen Gebieten die Bewegung der „Sauberen Hände“ gebremst oder schon zum Stillstand gebracht. Das ist das Beunruhigende im Regime eines Mannes, dessen wichtigste Manager und Parteifreunde teilweise erstinstanzlich verurteilte Männer oder vor Gericht eingestandene Mafioso-Freunde sind (Previti, Dell’Utri) und dessen vor drei Jahren verstorbener Hausverwalter – in Berlusconis Privatvilla in Arcore bei Mailand – des Mordes, des Drogenhandels, der Erpressung und der Mitgliedschaft in der sizilianischen Mafia schuldig befunden war.

Dieser Schatten ist lang, an ihn wurde, bevor es zum Eklat kam, auch im Straßburger Parlament erinnert. Denn er fällt auf ganz Europa.

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