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Kultur: Meine Sprache: Rudolf Walter Leonhardt über die "Zeitungsschreiber"

Das letzte Mal drangen fremde Wörter massenweise in unsere Sprache ein während der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert.

Das letzte Mal drangen fremde Wörter massenweise in unsere Sprache ein während der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Jetzt bringt uns das Digital-Zeitalter neuen Zufluss. Das ist völlig in Ordnung, denn für jedes neue Ding wird ein neues Wort gebraucht: Cyberspace, Internet, E-Mail, World Wide Web, Surfen, Chatten ... und so weiter. Dass diese Wörter fast alle englisch-amerikanischen Ursprungs sind, ist nicht schwer zu begreifen und macht sie wenigstens einigen von uns leichter zugänglich. Die User müssen ihren eigenen Jargon haben. Eine eigene Sprache haben sie nicht. Das merkt man, wenn sie sich von ihrer Black Box entfernt haben.

Kritiker halten gern einen älteren Text für altmodisch, unmodern. Sie sagen ungern, was sie damit eigentlich meinen. Doch nicht schon wieder Rechtschreibung? Was ist unmodern an folgenden drei Sätzen?

"Nun kommen wir auf die Zeitungsschreiber zu sprechen. Hier höret einer wunder über wunder, wie die Zeitungen mit allerhand frembden Wörtern angefüllet werden. Wie mancher einfältiger teutscher Mann, der etwa die Zeitungen liset, versteht kaum das halbe Theil."

Der Text stammt aus dem Jahr 1643. Unsere Sprache lebt länger als wir, viel länger. Und der berüchtigte Zeitgeist scheint sie auch kaum zu verändern.

Freilich sollten die Zeitungsschreiber, vor allem, wenn sie sich im globalen Trend vielsprachig gebärden, selber nicht einfältig sein. Sie sollten keine Wörter schreiben wie das - angeblich aus dem Französischen stammende - "Raffinesse". Das Wort gibt es gar nicht. In dreihundert Jahren werden die Sprachforscher dann sagen: Komisch, in der Mitte Europas gab es einmal einen schmalen Streifen, wo man "le raffinement" auf sonst unbekannte Weise "die Raffinesse" nannte.

Andere Forscher werden andere Sonderbarkeiten herausfinden. Es gibt so viele, dass man ein kleines Lexikon zusammenstellen könnte. Wir beschränken uns vorerst auf nur noch eine, zur Abwechslung mal aus dem Englischen. Es geht, werden die Forscher sagen, wieder um diesen schmalen Streifen in der Mitte Europas. Dort müssen die Leute eigenartige Vorstellungen vom Universum im Kopf gehabt haben. Während alle anderen die Sternschnuppe, im Westen shooting star genannt, als ein Partikel Materie verstehen, das aus dem Weltraum in die Atmosphäre eindringt und an jeder Stelle der Erde gesehen wird als ein Lichtfunken, der sich schnell von oben nach unten bewegt, nicht unbedingt senkrecht, aber doch deutlich abwärts, sehen die in der Mitte es gerade andersherum. Ihr "Shootingstar" bewegt sich von unten nach oben. Freilich nur dann, wenn sie ihn als Metapher verwenden, also wenn sie einen Star, einen menschlichen meistens, schnell nach oben steigen sehen.

Wir schließen daraus, mögen die Forscher sagen, dass sich unsere Sprache in 350 Jahren wenigstens in einigen Gegenden durchaus verändert.

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