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Kultur: Meine Sprache: Rudolph Walter Leonhardt über Tücken vor und hinter der Wörtern

Es lässt sich nicht leugnen: Deutsch ist eine schwere Sprache. Ausländer finden das eine besonders schwer (die Wortstellung zum Beispiel), Deutsche etwas anderes - jeder etwas anderes, seien es Fremdwörter oder die Szenesprache.

Es lässt sich nicht leugnen: Deutsch ist eine schwere Sprache. Ausländer finden das eine besonders schwer (die Wortstellung zum Beispiel), Deutsche etwas anderes - jeder etwas anderes, seien es Fremdwörter oder die Szenesprache. Bei meinen Versuchen, Kindern oder Ausländern die Veränderlichkeit deutscher Wörter nahezubringen, bin ich immer wieder auf die kleinen Tücken der Vorsilben gestoßen, die scheinbar so ähnlich sind und dennoch immer wieder etwas anderes bedeuten. Nach Lektüre eines dicken Duden bin ich zu nur einer Erkenntnis gelangt: Je kürzer die Vorsilben sind und je weniger einer Präposition verwandt, desto weniger Feststehendes bedeuten sie. Dem erwachsenen Deutschen mag das selbstverständlich vorkommen. Gerade sie und er sollten sich das Chaos der Bedeutungen einmal zu Gemüte führen.

ZUSAMMEN: Diese Vorsilben kommen einer Präposition sehr nahe. Ein Kennzeichen dafür ist, dass sie nur in direkter Verbindung mit einem Infinitiv als Vorsilben wirken, jedoch bei einem flektierten Verb getrennt und nachgestellt werden. "Sie wollten zusammenleben - jetzt leben sie zusammen." - "Das Haus wird zusammenfallen; es fällt zusammen." - "Sie werden zusammenstoßen; leider stießen sie zusammen." Die Verben leben, fallen, stoßen ändern durch die Vorsilben offensichtlich ihre Bedeutung, aber in einer nachvollziehbaren Weise.

ÜBER: "überspringen", "überfahren", "überlegen". "Überlegen" fällt aus der Rolle. Deswegen kann man normalerweise auch nicht "ich lege über" sagen.

Bei DURCHSETZEN verhält sich alles ähnlich. Wir lernen freilich, dass ein kleiner Trick, nämlich das Einschieben eines Objekts, die Vorsilbe zur nachgestellten Präposition machen kann: "Ich setze es durch". Da kommen Sätze heraus, wie sie unsere ausländischen Freunde so lieben: "Ich setze meine Absichten, wenn erst einmal alle Hindernisse beseitigt sind, so dass meinen Plänen nichts sich mehr in den Weg stellen kann, durch."

ZU: eine scheinbar reine Präposition. Auch die Verschiebung vom Anfang ans Ende funktioniert. Aber was wird aus der Bedeutung? "Ich drehe zu" (einen Wasserhahn). "Ich sage zu" (nachdem ich vorher abgesagt hatte). "Ich sehe zu" (gucke). - "Ich stelle zu" (eingekaufte Ware). Viermal ein ZU-Verb willkürlich herausgegriffen, und viermal gibt die Vorsilbe dem Verb eine ganz andere Bedeutung!

ENT-: ist beinahe das Gegenstück zu "zu". Als Präposition ist es gar nicht geeignet und kann daher auch nicht umgestellt werden. Aber an seiner Weise, die Bedeutung des Verbs zu ändern, hält es ziemlich fest. Fast immer sagt es so etwas wie "weg damit!" oder "weg davon!": "entlaufen", "entkommen", "entführen" - "entbinden", "entehren", "enteilen", "enterben", "entfärben", "entfesseln", "entflechten", "entgehen", "entgleisen", "enthemmen", "entkleiden", "entladen", "entschädigen", "entschweben", "entstören", "enttarnen", "entwässern", "entwürdigen", "entzaubern".

Ich war bei der Auswahl ziemlich streng; habe zum Beispiel Wörter wie "entjungfern" ausgelassen, weil es ja ein korrespondierende Verbum "jungfern" nicht gibt. Trotzdem hat auch diese ENT-Serie ihre Ausnahmen. Ohne Ausnahmen gibt es keine Regeln, ohne Regeln keine Grammatik. Davon wieder gibt es die Ausnahme Esperanto. Aber diese eigentlich bewundernswerte Kunstsprache hat ihre große Stunde versäumt - falls sie je eine gehabt hat.

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