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Meister aller Klassen: Berliner Akademie erhält Blumenfeld-Nachlass

Die Akademie der Künste hat den schriftlichen Nachlass von Erwin Blumenfeld übernommen. Zur Archivöffnung stellte sie ihre Neuerwerbung vor.

Er habe seine Karriere Hitler zu verdanken, hat der Fotograf Erwin Blumenfeld einmal sarkastisch geschrieben. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt er für seinen Handtaschenladen in Amsterdam keine Ware mehr aus Deutschland. Aus wirtschaftlichen Gründen entschloss er sich, Fotograf zu werden. Nach der Immigration in die USA stieg er zu einem der bestbezahlten Modefotografen auf.

Die Akademie der Künste hat nun den schriftlichen Nachlass von Erwin Blumenfeld übernommen. Zur Archivöffnung stellte sie ihre Neuerwerbung vor. Mit 800 Briefen bildet die Korrespondenz mit Lena Citroen den Schwerpunkt der Sammlung. Als der Künstler 1915 die Brieffreundschaft mit der Cousine Paul Citroens beginnt, kennt er sie noch nicht. Ein Jahr später verloben sich die beiden, ohne sich gesehen zu haben.

Wie in seinen Montagen verzerrt Blumenfeld auch in den Texten die Proportionen. In seiner Autobiographie „Einbildungsroman“, deren Typoskript sich jetzt im Besitz der Akademie befindet, übertreibt er tollkühn. In den Briefen an seine spätere Frau spielt er die gleichen Episoden treuherzig herunter. Dem Künstler sitzt das Trauma des Ersten Weltkrieges in den Knochen. Als Sanitätswagenführer in Frankreich sieht er die Wirklichkeit an der Front. Die Welt zerbricht, die Sprache fällt auseinander. Begriffe wie Ehre und Moral müssen neu erfunden werden. Die Fotomontage trennt zwischen schwarz und weiß, gut und böse. Zu Blumenfelds Idolen gehören der Boxer Jack Johnson und der Filmstar Charlie Chaplin. Seine Todfeinde sind Wilhelm II. und Hitler. In seinem berühmtesten Bild, der „Hitlerfresse“, verwendet er das Foto eines Totenschädels aus dem Ersten Weltkrieg und überblendet es mit einem Hitler-Porträt.

Blumenfelds Modefotos für Harper’s Bazaar oder Vogue sprühen vor dadaistischer Frechheit. Die Frauen wehen hoch über den Straßenschluchten am Gerüst eines Wolkenkratzers. Verwegen setzt sich der Fotograf über die Wirklichkeit hinweg. Aber er zehrt auch von seiner Ausbildung als Damenkonfektionär beim Berliner Modehaus Moses & Schlochauer. Er begreift die Eleganz der Schnitte und die Sinnlichkeit des Materials. Bis dahin hat Erwin Blumenfeld mit allen Medien experimentiert. In der Modefotografie kann er perfektionieren, was er von Dada gelernt hat. Er kann das Leben neu erfinden. Simone Reber

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