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Kultur: Memories

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über den einen großen Moment Diese Kolumne wird heute 50. Das legt nahe, sich aufs Wesentliche zu beschränken.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über den einen großen Moment

Diese Kolumne wird heute 50. Das legt nahe, sich aufs Wesentliche zu beschränken. Wenn das nicht so langweilig wäre! Whitney Houston, erfahre ich, ist gerade 40 geworden. Das ist sicher nicht wesentlich, um nicht zu sagen völlig egal. Wer ist Whitney Houston? Eine Gestalt, die mit unbeschränkt schönsingerischer Knödelei jahrzehntelang die Eleganz der SoulMusik beleidigt hat. Deren ästhetische Ökonomie aus gespanntem Zurückhalten und entspanntem Ergreifen hat bekanntlich nichts mit Überwältigungsgesinge zu tun. Houston hat darüber hinaus zu jenen Kriterien einer schönen Stimme beigetragen, die bei deutschen Star-Wettbewerben herrschen, also den flachsten, leistungsgesellschaftlichsten und sportähnlichsten Ideen von Schönheit.

Und doch war sie vor vielen Jahren an einer der zehn schönsten Aufnahmen der gesamten Pop-Geschichte beteiligt. Erinnert sich jemand an den Produzenten Bill Laswell? Dessen zentrale Idee war damals wie heute, Musiker und Musikkonzepte zusammenzubringen, die eigentlich nicht zusammenpassen, und zu sehen, ob dabei nicht doch was passiert. Da er von dieser Methode sehr überzeugt ist und rastlos in ihrer Anwendung, sind über die Jahre schon ein paar erträgliche Ergebnisse zusammengekommen. Kaum eines glückte wie das New Yorker Date Ende 1981 für die Platte „One Down“, erschienen unter dem Bandnamen Material. Für das dritte Stück auf der zweiten Seite wählte Laswell einen Song, den man bis dahin nur von einer inoffiziellen Platte der Gruppe Soft Machine kennen konnte. Noch vor den Aufnahmen der ersten LP dieser späteren britischen Psychedelic- und dann Jazz-Combo hatten sie 1967, damals noch mit Daevid Allen von Gong, eine Platte mit dem Produzenten Giorgio Gomelsky aufgenommen. Das spätere Bandmitglied, der damalige Roadie Hugh Hopper – Bassist wie Laswell – hatte dafür eine unfassbar schöne, aber von der Naivität des Blues-Autodidakten geprägte Ballade geschrieben, für die er sich, kaum zwanzigjährig, in die Person eines von der Liebe enttäuschten älteren Mannes versetzte. Schlagzeuger Robert Wyatt singt das Lied, „Memories“, mit seiner charakteristischen todrührenden Falsett-Stimme, nimmt ihm durch außerirdische Helligkeit alles von dessen präpotenter Altersweisheit – und steigert sie noch.

Gomelsky hing damals in New York ab und muss Laswell dieses Lied empfohlen haben. Wofür sonst wird ihm auf dem Cover gedankt? Laswell engagiert für den Gesangspart eine 18-Jährige, die zwar über eine voluminöse, aber keine fertige oder öde fulminante Stimme und darüber hinaus über ein geniales Timing verfügte. Whitney Houston. Das war ihre erste Aufnahme ever. Im Hintergrund spielt ein elektronischer Yamaha-Flügel und Synthi-Sound nach dem Geschmack der Zeit. Laswell legt einen sehnsüchtigen Flageolett-Griff über das Intro, und dann kommt ein traumhafter Einsatz von Houston, die den alten Mann und den jungen Alien mit einer dritten Persona überwölbt, die alles Mögliche ist, aber kein „junges Mädchen“. Ihre Phrasierung gibt dem Song einen Schwerpunkt, den weder die Soft-MachineVersion hatte, noch die Beats der 1981er Drum Machines und des Schlagzeugers Yogi Horton hinkriegen. Der Track läuft in aller Schönheit auf zwei völlig verschiedenen Spuren. Dann aber setzt der Saxofonist ein, den der nimmermüde Kontakteknüpfer Laswell noch herbeigeschleppt hat: Free-JazzSuperschwergewicht Archie Shepp seufzt zunächst nur einmal in den allertiefsten Lagen in der Länge eines Breaks, um dann später einen unglaublich schweren, schönen und kaputten Chorus beizusteuern. Einmal japst er dreigestrichen hoch, als würden ihm die Luft und der souveräne Ton ausgehen, setzt neu an, brummt den Raum zu und hat wieder alles unter Kontrolle.

Jetzt fragt Whitney wieder: Was soll man machen, wenn man weder gehen noch bleiben kann? Was sich erst nur auf die gemeinsam mit dem Ex bewohnte Wohnung bezog, bezieht sich nun auf Erinnerungen an sich: Man kann nicht bei ihnen bleiben, noch sie loswerden. Sie übermannen einen.

Der Song scheint jetzt anzuhalten, wird fast still. Dann übermannt ihn Archie Shepp, mit nun eher freien und fast konkreten Klagelauten, in die Whitney einfällt, während im Hintergrund der komische, vollständig anachronistische Oberheim-Synthesizer die Wände dieses klaustrophobischen Songs zu definieren und mit Zeichen der Zeit zuzuschmieren scheint. Man kann immer nur wegwollen und schreien. Sound und Schlussakkord versiegeln alles. Kein Entrinnen.

I have to choose between yesterday and tomorrow, singt Whitney Houston. Tomorrow war keine gute Wahl, Yesterday wäre es aber auch nicht gewesen. Das war vor 22 Jahren.

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