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Mensch und Baum: Axt essen Seele auf

Als es um Bäume ging, eskalierte der Konflikt um Stuttgart 21. Nichts, so scheint es, regt die Bürger in den Städten mehr auf, als das Fällen und Roden. Dabei wird der Baumbestand oft wiederhergestellt.

Es ist Oktober und dunkel, sie haben den Baum gerade wieder besucht wie jede Woche, und jetzt, in einem Restaurant eine halbe Stunde später und ein paar Schritte weiter, steht eine Frage im Raum: Warum machen wir das?

„Der Baum weint, man spürt das, manche spüren sowas“, sagt Frau Firouzi.

„Für mich ist das auch ein Symbol geworden“, sagt Frau Kröger.

Frau Rose sagt: „Wir waren anfangs sehr viele.“ „Ja, wir waren viele, nicht?“, sagt Herr Robert.

Frau Borgmann: „Mein Spitzname war immer die Ökoliese, früher schon.“

Frau Scialletti: „Bei mir standen einmal zwei Pappeln im Hof, vor Jahren, dieses Licht!, diese Geräusche!, und eines Tages waren sie weg. Und das hat wehgetan.“

Frau Nake-Mann sagt nichts, sie hört zu, im Kopf hat sie ein Gedicht. Der Schweizer Schriftsteller Franz Hohler hat es geschrieben, es geht so: Was die zwei / dienstags gefällten / Scheinzypressen betrifft / im Zentrum Örlikons // ihr kennt sie vielleicht / die Bäume / auf welchen sich jeweils / die Stare zum Abflug versammeln // so kann ich euch / nach Gesprächen mit allen Beteiligten sagen: // Niemand kann etwas dafür / alle handelten nur / im Auftrag / oder weil es nicht anders ging / und es war auf jeden Fall / die vernünftigste Lösung. // Ich werd es / im Herbst / den Staren erklären.

Sind das Antworten? Die sechs Frauen und der eine Mann am Restauranttisch sind der harte Kern der Berliner Bürgerinitiative Silberahorn. Der steht vor einer Baustelle im Stadtteil Moabit, Westfälisches Viertel, Bochumer Ecke Dortmunder Straße. In Bochum versucht derzeit eine andere Bürgerinitiative die Fällung von elf Bäumen in einer Wohnsiedlung zu verhindern, in Dortmund geht es um einen. Und in Moabit steht jeden Mittwochabend der harte Kern vor diesem 60 Jahre alten Silberahorn und zeigt Präsenz. Nicht anders als jene Menschen, die ebenfalls mittwochs im Stuttgarter Schlossgarten vor einer alten Buche stehen und dort einen Gottesdienst abhalten. Auch in dieser Woche war dort wieder Gottesdienst, nachdem ein paar Tage zuvor zuerst die Wasserwerfer und dann das Räumgerät und die Kettensägen in den Schlossgarten gekommen waren. Manche der Gottesdienstbesucher hatten Prellungen, sie waren dabei gewesen.

In nahezu jeder größeren Stadt in Deutschland wird über Baumfällungen gestritten. Und in Berlin besonders oft. Derzeit in der Neuköllner Hufeisensiedlung zum Beispiel, am Kreuzberger Gleisdreieck und seit nunmehr drei Jahren am Landwehrkanal, wo das Bezirksamt sogar in diesem Sommer, also während der naturschutzrechtlich beschirmten Vegetationsperiode, fällen ließ. Das haben sie sich nicht einmal in Stuttgart getraut.

Warum eskalieren bei Baumaßnahmen Konflikte oft, sobald Bäume gefällt werden? Was entzündet sich da?

Rudolf Wittmann, Baumsachverständiger aus Ingolstadt und vielleicht derjenige seines Berufsstandes, der am innigsten mit seiner Arbeit verbunden ist, sagt, dass es die jahrtausendealte Prägung der Deutschen ist. 50 000 Jahre Leben im Wald, mindestens, sagt er, mit all seinen Gefahren, aber eben auch mit all seinem Schutz.

In seinem Kommentar für Tagesspiegel-Online sah Malte Lehming das vor kurzem ähnlich, als er schrieb, „der deutsche Baum (die Eiche) und der deutsche Wald (ewig) gehören seit rund 200 Jahren fest zur nationalen Identität“. Und Frau Kröger am Moabiter Restauranttisch sagt: „Irgendwann ist mal ein schwarzer Mann bei uns vorbeigekommen. Was, Sie stehen hier wegen eines Baums? Gibt‘s hier nicht genug Bäume?“ Herr Robert erklärt: „Viele Einwanderer hier kommen aus Gegenden, wo Wüste ist.“

Wenn all das stimmt, geht es also um etwas Vorzeitliches, etwas, dem kaum jemand ausweichen kann. Um Gefühle.

„Mein Freund, der Baum ...“, das ist die Überschrift über einem Silberahorn-Artikel aus der Stadtteilzeitung. Brigitte Nake-Mann hat ihn ausgeschnitten, er liegt jetzt vor ihr auf dem Tisch. „Da gibt es so einen sentimentalen Schlager“, sagt sie, „der heißt so, kenn ich aber nicht.“

Nake-Mann ist so etwas wie der organisierende Kopf der Silberahorn-Bürgerinitiative, sie spricht mit den Behörden, schreibt Briefe, und auch wenn sie beim Hineinhorchen in sich so oft auf Dichterworte stößt, muss sie sachlich bleiben. Sie weiß, dass der Baum unter Schutz steht, dass ihm rein rechtlich nichts passieren kann, zu groß, zu alt, zu stadtbildprägend ist er, dass der Bauherr ein hohes Bußgeld zahlen müsste, sollte er ihm schaden. Aber sie weiß auch, dass er schon mal einen – abschlägig beschiedenen - Fällantrag gestellt hat, und sie sieht jeden Mittwoch die große Informationstafel an der Baustelle. Auf der ist das fertige Haus zu sehen, der Baum davor wirkt wie ausradiert. In Wirklichkeit verstellt er den Blick aus den Wohnungen auf die Spree, die hier vorbeifließt.

Nake-Mann macht das auf eine behutsame Art skeptisch. Sie liest etwas von Bertolt Brecht vor. Befragt über sein Verhältnis zur Natur, sagte Herr Keuner: Ich würde gern mitunter aus dem Haus tretend ein paar Bäume sehen, liest Frau Nake- Mann. In den Städten verwirrt es uns mit der Zeit, immer nur Gebrauchsgegenstände zu sehen, Häuser und Bahnen, die unbewohnt leer, unbenutzt sinnlos wären. Unsere eigentümliche Gesellschaftsordnung lässt uns ja auch die Menschen zu solchen Gebrauchsgegenständen zählen, und da haben Bäume wenigstens für mich, der ich kein Schreiner bin, etwas beruhigend Selbständiges, von mir Absehendes. Nake- Mann sagt „und jetzt kommt‘s“: Warum fahren Sie, wenn Sie Bäume sehen wollen, nicht einfach manchmal ins Freie, fragte man ihn. Herr Keuner antwortete erstaunt: Ich habe gesagt, ich möchte sie sehen aus dem Hause tretend.

Brechts Keuner will also einen Baum vor seinem Haus haben. Der Baum ist für ihn etwas Unverhandelbares.

Für Wolfgang Leder verbietet es sich, so zu denken. Er ist im Stadtbezirk Mitte, zu dem Moabit gehört, für die Straßenbäume zuständig. Leder muss von Berufs wegen abwägen und sich an rechtliche Gegebenheiten halten. Gerade steht er in einem Gewächshaus seines Grünflächenamtes, umringt von 20 Abgesandten anderer Grünflächenämter und hält einen Lehrgang ab. Es geht um Baumdiagnose, darum, herauszufinden, ob ein Baum krank ist oder gesund, ob er bald umfallen wird und deshalb gefällt werden muss oder nicht. Er demonstriert das an Stümpfen. „Was haben wir denn hier für ein Bäumchen“, fragt er, „ist ja wichtig zu wissen.“ „Eiche“, sagt einer. „Hallo?“ „Linde.“ „Genau.“

Mitte ist einer der beiden Bezirke Berlins, in dem im vergangenen Jahr laut amtlicher Statistik mehr Bäume gepflanzt worden sind als gefällt, und Leder sagt, er will, dass das so bleibt. Er sagt, wenn er durch Berlin fährt, hat er das Gefühl, es werde oft zu früh gefällt, viele Bäume seien zu retten, wenn man nur an ihrer Krone etwas herumschneidet. Er sagt auch, dass sich gerade etwas ändert in Berlin, „die Konflikte um Bäume nehmen eindeutig zu.“ Auch deshalb macht er diese Lehrgänge. Die Behörden sollen Fakten auf ihrer Seite haben, wenn ein Baum gefällt worden ist. Oder wenn er als „politischer Baum“ in den Ausschüssen der Bezirksparlamente landet. Wenn es laut wird.

Das lauteste in Moabit sind die Ausrufezeichen. „Ein Jahr Bürgerinitiative Silberahorn!“, steht auf einem Zettel, „Bürger und Bürgerinnen! Schaut auf unseren Silberahorn!!!“ auf einem anderen, beide Din-A-4-groß und hinter Folie, angepinnt an eine Sperrholzplatte auf der Straßenseite gegenüber. Als der Streit um den Baum losging, im Sommer 2009, hießen die Losungen: „Fällen? Auf keinen Fall!“ und „Anwohner: Rettet diesen Baum!“

Wie viel Dezibel hat ein Ausrufezeichen? Die Stihl-Kettensäge MS 880, das Topmodell des Marktführers, hat 113. Das ist lauter als einen Meter vor einem Diskothekenlautsprecher zu stehen. Und das ist eine Macht. In Stuttgart hat sie vorerst gewonnen, 25 Bäume stehen nicht mehr. Es waren welche dabei, die die Stuttgarter nach dem Krieg haben stehen lassen, als die Not größer war als heute und Heizmaterial knapp. Und dass für jeden dieser Bäume etwa 200 neue angepflanzt werden sollen, interessiert die, die sie hatten schützen wollen, wenig.

Es ist Freitagnachmittag, die SPD hat ins Rathaus Tiergarten eingeladen, zu einer Informationsveranstaltung mit Diskussion. Es geht um den Plan eines Münchner Gastronomiegroßmarktbetreibers, sich auf einem einstigen Güterbahnhofsgelände anzusiedeln. Wenn es gut läuft, verspricht er 300 Arbeitsplätze.

Eine große Zahl von Anwohnern ist dagegen, die Rede ist von Stadtteilverträglichkeit und Frischluftschneisen und überdimensionierten Gebäudemaßen und von der Erpressbarkeit der Politik. Berechtigte Sorgen treffen auf berechtigte Interessen. Wolfgang Leder sitzt im Publikum, denn am Rande geht es auch um 130 Pappeln. Still hört er zu, als neben ihm eine Frau aufsteht: „Ich war zum letzten Mal stolz darauf, hier zu wohnen, das war vor 20 Jahren. Da hat der Baustadtrat sich noch nicht um irgendwelche Investoren gekümmert, sondern Bäume gepflanzt. Freue mich heute noch über die Bäume.“

300 Arbeitsplätze sind hier kein Argument mehr, sie sind ein Vorwurf. Dass es zusätzlich auch noch eine Umgehungsstraße geben soll, die den Verkehr aus dem Viertel herausholt, einen kleinen Park und zwei Hainbuchenreihen als Ersatz für die Pappeln, zählt auch nicht. An den Baustadtrat gewandt sagt die Frau neben Leder: „15 Jahre, sagen Sie, dann werden die neuen Bäume hochgewachsen sein, 15 Jahre, so lange glotzen die Leute auf die Gastromarkt-Wand, aber das ist Ihnen egal.“

Vielleicht ist es das. Frau Kröger am Moabiter Restauranttisch hatte gesagt, „Zeit. So ein Baum steht in der Zeit.“ Herr Leder im Gewächshaus hatte gesagt: „Sie müssen bedenken, so ein Baum braucht 20, 40 Jahre, um einigermaßen groß und schön zu werden. Aber gefällt ist er in einer Stunde.“

Die Silberahorn-Initiativler haben schon einen Baum an ihrer Straßenecke fallen sehen, er war einer Toreinfahrt zum Neubau im Weg. Der Bauherr hat dafür zehn neue Bäume bezahlt, die im Herbst irgendwo im Stadtteil gepflanzt werden sollen. Die werden irgendwann vielleicht größer und schöner sein als der alte mit seinen 60 Jahren. Zehn schöne, große, alte Bäume. Aber sie werden weit weg sein. Und niemand der Leute hier am Tisch wird es mehr erleben.

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