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Kultur: Menschliche Stimmen

Mehr braucht ein sommerliches Opernfestival wirklich nicht: die Schloßhofkulisse im Abendsonnenschein, ein kühlendes Lüftchen, Schwalbengezwitscher, schöne junge Stimmen. Die Einsatzfreude, den Charme und Witz der Jugend konnte die Kammeroper Schloß Rheinsberg bei ihrer Operngala in diesem perfekten Ambiente in die Waagschale werfen - gewissermaßen als klassisches Pendant zur Love Parade.

Mehr braucht ein sommerliches Opernfestival wirklich nicht: die Schloßhofkulisse im Abendsonnenschein, ein kühlendes Lüftchen, Schwalbengezwitscher, schöne junge Stimmen. Die Einsatzfreude, den Charme und Witz der Jugend konnte die Kammeroper Schloß Rheinsberg bei ihrer Operngala in diesem perfekten Ambiente in die Waagschale werfen - gewissermaßen als klassisches Pendant zur Love Parade. Da macht es gar nichts und ist auch natürlich, daß nicht alle Leistungen auf dem hohen Niveau stehen, das die ganz große Opernkarriere verspricht.28 Sängerinnen und Sänger sind diesmal aus über 500 Bewerbungen für fünf Produktionen ausgewählt worden. Den launigen Anfang macht David Olafsson als rachsüchtiger Bartolo aus Mozarts "Figaro"; an stimmkräftigem Komödiantentum tun es ihm Peter Trautwein und Sinisa Stork gleich. Den Vogel im komischen Baritonfach schießt jedoch Jörn Dopfer als vielgeplagter "Barbier von Sevilla" ab, mit strahlkräftigem, auch "Don-Giovanni"-tauglichem Charme. Ein weiteres Glanzlicht setzt Ingrid Mankhof als Frau Fluth aus Nicolais "Lustigen Weibern" mit reifer Bühnenpräsenz, die zu bezaubern und zu distanzieren weiß. Doch Ainhoa Garmendia sticht die in Kanada ausgebildete Sopranistin mit virtuoser Donizetti-Koloratur noch aus; die zierlich-süße Stimme der Spanierin sitzt einfach perfekt.Ihrer "Cenerentola"-Arie gibt Claudia Codreanu den kühleren Charme des dunklen Timbres, während Anna Agathonos der Liebe "bunte Flügel" genau zwischen Hitze und eisiger Distanz flirren läßt, stimmlich eine echte, so seltene "Carmen".Nicht jeder schafft es, sich auf Anhieb im Dreiminuten-Spot zu präsentieren, nicht immer scheint das Fach richtig gewählt. Jörg Brückner ist ein hell-stählerner, ein wenig zu siegesgewisser "Bohème"-Rodolfo, Kristiane Kaiser eher eine "Cosi fan tutte"-Despina als eine "Zauberflöten"-Pamina, Rona Israel eine sensible, dafür technisch weniger sichere Mimi.Den ganz großen Auftritt hatte zuvor Gerlinde Sämann in dem Einakter "Die menschliche Stimme" des Franzosen Francis Poulenc: In der "musikalischen Tragödie" wollten böse Zungen lediglich ein privates Telefongespräch des Textdichters Jean Cocteau erblicken - doch die Psyche einer verlassenen, tödlich abhängigen Frau können die Homophilen Cocteau und Poulenc genauer abbilden als die meisten Opernlibretti, die oft nur Männerphantasien transportieren und Rollenklischees stilisieren.Die "Erlösung durch die Liebe" ist hier die pure, sinnlose Selbstzerstörung, die nichts zu fordern wagt, sich an Illusionen klammert, im kleinsten Aufbegehren voller Schuldgefühle. Anders als etwa Schönbergs Monodram "Erwartung" faßt Francis Poulenc dies in nüchtern deklamierende, sparsam instrumental akzentuierte Linearität. Dem gibt, einfühlsam-prägnant von Hans Sotin am Klavier unterstützt, die blinde Sängerin eine ungewohnt starke Innerlichkeit, wie süchtig der unhörbaren Stimme aus der Telefonmuschel lauschend, in ihren weichen und doch festen Sopran das ganze Spektrum von wehmütiger Erinnerung, höchster Erregung, Bitten und Zusammenbruch legend.Und Angst. "Wir sind getrennt worden!" ruft sie immer wieder. Denn die zweite Hauptrolle in dieser Inszenierung von Arila Siegert spielt das Telefon. Die spartanisch möblierte Bühne der Laurentiuskirche hat Klaudia Keilholz mit Strippen vollgespannt - der Draht der unpersönlichen Verbindung, der Ariadnefaden aus dem Labyrinth, die Strangulierungschnur und die Fessel. So sieht Sämann eingeschnürt aus wie der Märtyrer Sebastian auf der Zeichnung von Leon Bakst. Die Tänzer Iris Sputh und Dieter Hülse sind die Agenten dieses Opferrituals. Arila Siegert läßt sie alle Gefühle und Sehnsüchte der Frau ausdrücken - im Pas de deux, im wilden Kampf, in spannungsreicher Slow motion als Projektion einer alltäglichen Beziehung, geschickt als Schattenbild ausgeleuchtet.Dieses sensible, mit sparsamen, klaren Bildern eine Fülle von Symbolen entfaltende Psychogramm zeigt einmal mehr, daß der interessante Kern des Rheinsberger Opernfestivals immer wieder auch in den "kleinen" Produktionen in der örtlichen Laurentiuskirche zu finden ist.Einen eigenen Auftritt hatte Brandenburgs Kulturminister Steffen Reiche: Er kündigte an, das Bundesland werde die 1991 gegründete Kammeroper auch in den kommenden Jahren unterstützen und hob gleichzeitig hervor, daß das Festival mit einem Zuschuß von nur 68 Mark pro Karte auskomme, während es an den übrigen Bühnen des Landes durchschnittlich 213 Mark seien. Das Budget des Festivals beträgt knapp 1,5 Millionen Mark.

Weitere Aufführungen der "Menschlichen Stimme" am 13., 14., 16. und 17. Juli. Als nächste Rheinsberger Premieren stehen Rossinis "Aschenputtel" am 23. Juli und Szenen aus Goethes "Faust" mit Musik diverser Komponisten am 25. Juli an. Telefon: 033931/39296.

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