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Kultur: Menuhin Festval Gstaad: Sein Schritt aus Vaters Schatten

Trotz ausverkauften Hauses ist die Atmosphäre familiär in der kleinen Kirche von Saanen. Jeremy Menuhin, der Pianist, betritt hinter seinen Partnern vom Klaviertrio Menuhin / Graffin / Wallfisch die Bühne der Veranstaltung, die seinen Namen trägt.

Trotz ausverkauften Hauses ist die Atmosphäre familiär in der kleinen Kirche von Saanen. Jeremy Menuhin, der Pianist, betritt hinter seinen Partnern vom Klaviertrio Menuhin / Graffin / Wallfisch die Bühne der Veranstaltung, die seinen Namen trägt. Benannt wurde das Menuhin Festival Gstaad nach seinem Vater, Lord Yehudi Menuhin. Am 12. März 1999 ist der weltberühmte Violinist und Menschenfreund in Berlin gestorben. Dass der Sohn bereit steht, in Gstaad den Platz des Vaters einzunehmen, wird höflich zur Kenntnis genommen. "Ich wäre der natürliche Nachfolger als künstlerischer Leiter", sagt Jeremy Menuhin. "Aber bisher hat man mich immer übergangen."

Es war ein musikalisch-philosophisches Elysium auf Zeit, das sich Yehudi Menuhin mit der Gründung des Festivals im Jahr 1956 schuf. Kunst und alpine Landschaft sollten sich befruchten. Zur wichtigsten Inspirationsquelle indes wurde Menuhins emphatischer Humanismus. Bald trug der vorherige "Musiksommer" seinen Namen - was die Eitleren unter den Musikerkollegen irritierte. Gstaad wurde für den Kosmopoliten Menuhin und die Familie zur sommerlichen Wahlheimat. Während der Trauerfeier für ihn in London wehte die Flagge der Gemeinde Saanen, zu der auch der Luftkurort gehört, auf Westminster Abbey.

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Gstaad einen Personenkult um Menuhin treibt. Das Chalet der Familie wurde verkauft und vom neuen Eigentümer abgerissen. Eine kleine Ausstellung zum Wirken des Musikers ist in einem Wohnheim für Behinderte untergebracht und besteht im wesentlichen aus einem Videoband mit einem Interviewfilm. Auffälligste Reminiszenz ist außer einer Menuhin-Büste in Saanen der "Yehudi-Menuhin-Philosophenweg", der auf Tafeln die wichtigsten Erkenntnisse des Selbstdenkers vor Augen führt, zum Beispiel: "Humor und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, sind wesentlich im Leben".

Jeremy, der musikalisch begabteste Nachkomme, durfte 1965 im Alter von 13 Jahren in Gstaad debütieren. Oft war er als Kammermusikpartner an der Seite seines Vaters zu hören. In diesem Jahr wird er nach dem Eröffnungskonzert mit Klaviertrios von Beethoven und Schubert auch noch am 31. August unter der Leitung von Krzysztof Penderecki das vierte Klavierkonzert von Beethoven spielen. Sechs Wochen liegen zwischen dem Eröffnungs- und dem Schlusskonzert des Festivals - zu viel, findet Menuhin. Dem steht das Interesse der Tourismusvertreter entgegen. Sieben bis neun Millionen Franken bringen die Konzerte der Region. Obwohl Jeremy Menuhin mittlerweile seine künstlerische Eigenständigkeit bewiesen hat und in diesem November seinen 50. Geburtstag begeht, ist er für Gstaad-Routiniers der Sohn geblieben. Sie nennen ihn beim Vornamen, wenn sie über ihn reden, immer steht der Vergleich mit dem Vater im Raum. Menuhin sitzt zwar inzwischen im Verwaltungsrat des Festivals, aber seine Versuche, den Vater in der künstlerischen Leitung zu beerben, sind dreimal fehlgeschlagen, wie er sagt. Zuletzt zog man ihm den 31-jährigen Basler Nachwuchsmusiker Christoph Müller vor.Die andere vakante Festivalrolle, die des Philantropen, wird in diesem Jahr mit José Carreras besetzt, der als Star des Abschlusskonzertes am 1. September den Abenderlös seiner Stiftung zur Bekämpfung der Leukämie spendet.

Wie für alle Kinder großen Eltern gibt es für Jeremy Menuhin nur zwei Möglichkeiten: ein Großer zu werden oder ein tragischer Fall. Yehudi Menuhin aber war ein Heiliger, alle Schüler der von ihm begründeten Jugendakademien rühmen seine väterliche Fürsorge - da bleibt für die Selbstbehauptung des Sohnes wenig Raum. Jeremy kannte seinen Vater anders als das verehrende Publikum: "Diese Menschlichkeit - die hatte er für die Welt und für seine Schule. Ich empfand ihm gegenüber große Distanz, schon weil er kaum Zeit für die Familie übrig hatte. Erst über die Musik konnte ich eine Verbindung zu ihm aufnehmen."

Das Eröffnungskonzert in Saanen wird für das Klaviertrio Menuhin / Graffin / Wallfisch zu einem schönen Erfolg. Jeremy Menuhin hat seine erstklassigen Partner mit rundem, feinsinnigen Legato-Ton begleitet, sich nie in den Vordergrund gespielt. Selbst in der Zerrissenheit des Schubert-Trios bewahrt sein Zugriff eine Verbindlichkeit, die keinen Hinweis auf eine gequälte Seele enthält. Nachher wird es in Gstaad heißen, Jeremy sei in den vergangenen Jahren gereift, trete aus dem Schatten des Vaters. Aber wahrscheinlich arbeitet einfach die Zeit für ihn, endlich. "Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis. Das Neue ersetzt das Alte". Er spiele außerordentlich gerne in Gstaad, sagt Jeremy Menuhin.

Tobias Wiethoff

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