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Kultur: Menzels großer Tag

Das Ende der Sparsamkeit: ein Rückblick auf die erfolgreichen Berliner Herbstauktionen

Fast 60 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur, holt die Vergangenheit auch die Kunstwelt immer wieder ein. Den Gipfel bildete jüngst eine Provinz-Posse in Wuppertal, wo die Direktorin des Van-der-Heydt-Museums die Rückgabe dreier Werke aus einst jüdischen Sammlungen an die Erben verweigerte. Erst die Intervention des städtischen Kulturausschusses bewirkte eine Aussicht auf Wiedergutmachung; der abschließende Ratsbeschluss steht allerdings noch aus. Aber auch der Auktionsmarkt wird trotz Art Loss Register und der seit Mitte des Jahres tagenden Raubkunst-Kommission der Bundesregierung nach wie vor mit lückenhaften Provenienzen konfrontiert. So nahm das Münchener Auktionshaus Neumeister im vergangenen Herbst drei Bilder Adolph von Menzels ins Angebot, von denen das Glanzstück „Der Schafgraben in Berlin“ aufgrund ungeklärter Restitutionsansprüche zurückgezogen werden musste, was auch einen Schatten auf die anderen beiden Werke gleicher Herkunft warf. Nach der Einigung zwischen dem Einlieferer und den Nachfahren des Berliner Regierungsrats Alfred Sommerguth, der seine bedeutende Sammlung 1939 zwangsversteigern ließ und emigrieren musste, vertraute die Privatsammlung der Berliner Villa Grisebach ihr Konvolut an, wo sie um zwei Zeichnungen und eines der ersten Ölbilder Menzels ergänzt werden konnte und zur Hauptattraktion der „Ausgewählten Werke“ avancierte.

Der Aufruf des „Schafgrabens“, den Christoph Stölzl im Katalog treffend als landschaftliches Pendant zum berühmten „Balkonzimmer“ würdigt, verlief bis 500 000 Euro zügig. Dann legte Auktionator Peter Graf zu Eltz am Pult eine Kunstpause ein und bestritt den Endspurt mit zwei Telefonbietern, die das vorimpressionistische Gemälde auf stolze 1 050 000 Euro steigerten, was inklusive Aufgeld über 1,2 Millionen Euro und einen neuen Marktrekord für Menzel bedeutet. Die angesichts des Entstehungsjahrs 1846 ungemein moderne und luzide Momentaufnahme vom heutigen Landwehrkanal wandert nun über ihren Entstehungsort in eine amerikanische Sammlung.

Berlin zieht an

Allein für die Papierarbeit „Im Eisenbahncoupé“ fand sich kein Abnehmer, ansonsten brillierte die Menzel-Offerte von 40 120 Euro für die Bleistiftstudie „Weibliche Köpfe“ bis 99 250 Euro für eine „Blinde Kuh“ betitelte Gouache und verlieh dem gesamten Abend beachtlichen Aufschwung sowie eine Zuschlagsquote von fast 75 Prozent. Keinen Rekord, aber weit mehr als die geschätzten 300 000 Euro brachte auch Alexej von Jawlenskys „Heilandsgesicht: Schwarzer Buddha“ ein, das für 576 500 Euro von einer britischen in eine amerikanische Privatsammlung wechselte. Nicht weniger mystisch, kletterte Wilhelm Morgners „Astrale Komposition“ von 90 000 auf handfeste 162 500 Euro. Zuspruch fand ebenfalls Erich Heckels „Stillleben mit blauer Vase“, für das ein Saalbieter 289 000 Euro gewährte sowie eine späte „Märzlandschaft III“ von Gabriele Münter, die ein Hamburger Privatier von 150 000 auf 243 000 Euro steigerte.

Während der „Waldlandschaft“ von Otto Mueller die typischen Akte fehlten, was das Publikum mit einem Rückgang quittierte, konnte Christian Rohlfs „Junger Wald“ von 1913 die untere Schätzung mehr als verdoppeln und wurde für 99 250 Euro einem Berliner Händler zugeschlagen. In der Nachkriegskunst reüssierten Ernst Wilhelm Nays „Schwarze Bahn“ mit 231 500 Euro und Willi Baumeisters „Figurenlandschaft“ (82 000 Euro) aus der Serie der Mauerbilder ebenso innerhalb der Schätzungen wie Werner Heldts „Nachmittag“ für 59 000 Euro.

Während Berlin magische Anziehungskraft auf junge Künstler und Galeristen ausübt, erfreut sich das Rheinland nach wie vor einer treuen Kundschaft auch für die Gegenwartskunst, die bei Lempertz in Köln regelmäßig mit einer eigenen Auktion bedacht wird. Hier erzielte Martin Kippenbergers 1984 collagierte Leinwand „Mädchen verwechselten Pattex mit ihrer Pille“ mit 85 000 Euro immerhin einen deutschen Auktionsrekord für den unverwechselbaren Künstler, von dem noch fünf weitere Lose die Schätzungen samt und sonders mehr als verdoppelten.

Von den drei Zeitgenossen der Hauptauktion bei Grisebach konnte Arnulf Rainers „Kreuz“ mit 105 000 Euro die obere Erwartung übertreffen, Christos Collage „Surrounded Islands“ hingegen fand keinen Liebhaber. Breiter gefächert war das zeitgenössische Angebot bei der Sonnabend-Versteigerung, wo moderate Preise dominierten. Einen kleinen Ansturm lösten vier Zeichnungen von Joseph Beuys aus, von denen drei die Taxen verdoppelten und die 1959 entstandene Bleistiftskizze „Weiblicher Akt im Profil“ von 5000 Euro auf 42 480 Euro anstieg. Insgesamt bescherte die Herbststaffel der Villa Grisebach einen hervorragenden Abschluss, der mit 9,2 Millionen Euro die Erwartungen und die letzten Ergebnisse weit übertraf. So sieht Bernd Schultz neben einer „weltweiten und sehr breiten Akzeptanz“ für sein Haus ebenso eine „spürbare Belebung des deutschen Marktes und das Ende der Sparsamkeit“.

Ein Plus gegenüber den vergangenen Auktionen verzeichnete auch Lempertz, wo bei einem Bruttoumsatz von 7,55 Millionen Euro für die Fotografie und Kunst des 20. Jahrhunderts ebenfalls die Klassische Moderne den Löwenanteil einfuhr. An die Spitze schwang sich eine auf 300 000 bis 350 000 Euro geschätzte Papierarbeit von Egon Schiele, für deren Marktfrische ein australischer Händler 817 000 Euro bewilligte.

Im Berliner Auktionshaus Bassenge wurde Ernst-Wilhelm Nays „Der Vogelmensch und andere“ als Spitzen-Los um ein knappes Viertel über die Taxe gehoben und geht für 120 000 Euro ins Rhein-Main-Gebiet. Ansonsten begeisterten hier vor allem die hochwertigen Druckgrafiken und Arbeiten auf Papier des 15. bis 19. Jahrhunderts.

Der Fotomarkt stagniert

Wenngleich die oberen Preiskategorien keine extremen Steigerungen verbuchten, so wechselten bei Bassenge doch solide 70 Prozent der Werke ihre Besitzer. Den höchsten Zuschlag gewährte ein Privatsammler aus Israel für Rembrandts „Landschaft mit dem Zeichner“. Die 13 mal 21 Zentimeter kleine Radierung spielte 30 000 Euro ein, gefolgt von einem Kupferstich aus der Passion Martin Schongauers, für die ein amerikanischer Händler 24 000 Euro bot. Für eine Überraschung sorgte Wilhelm von Schadow, dessen „Mignon“-Aquarell zu Goethes „Wilhelm Meister“ eine Aquatinta seines berühmten Vaters Johann Gottfried Schadow weit abschlug und von 2800 auf 13 500 Euro kletterte. Mit einem Bruttoergebnis von 2,6 Millionen Euro verzeichnete Bassenge einen Erfolg, der sich nicht zuletzt dem weniger konjunkturanfälligen Schwerpunkt der Alten Meister verdankt.

Einbrüche verzeichnet momentan nur die Fotografie. Zwar konnte Lempertz sein Gesamtergebnis gegenüber dem Vorjahr verbessern, Markus Eisenbeis verzeichnete für Van Ham gar die besten Ergebnisse in diesem Bereich, dennoch gab es in allen Häusern empfindliche Rückgänge. Die Münchner Fotografie-Spezialisten von Schneider-Henn reagierten bereits im Vorfeld und konzentrierten ihr Angebot auf 157 Katalognummern. Tilman Bassenge bemerkte einmal mehr die Zurückhaltung der amerikanischen Kunden in diesem Segment, und auch in der Villa Grisebach ließ nicht zuletzt der ungünstige Dollarkurs einige Wünsche offen. Wenngleich für ein Vintage Print von Albert Renger-Patzsch mit 24 780 Euro das höchste Ergebnis für ein Einzelbild auf dem herbstlichen Fotografiemarkt erzielt wurde, das lediglich bei Lempertz mit 29 000 Euro für insgesamt 2600 Glasnegative aus dem Nachlass des belgischen Fotografen Léonard Misonne getoppt werden konnte.

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