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"Merkur"-Heft: Ein Held ist nicht genug

Pünktlich zum Wahlkampf folgt ein "Merkur"-Sonderheft den Spuren der Heroen und Duellanten – von Achill bis Sophie Scholl.

Duelle entstammen der Sphäre des Heroischen. Ursprünglich waren es Zweikämpfe auf Leben und Tod, in der adligen Kultur des 18. Jahrhunderts wurden streng organisierte Rituale daraus, an deren Ende es einen Sieger und einen Verlierer gab. In der archetypischen Form der Überlieferung bezahlt der Verlierer seinen Einsatz mit dem Leben, wie Hektor, der bei Homer Achill unterliegt. Politik ist komplizierter, deshalb wirkt es ein wenig grotesk, dass Wahlkämpfe so gern als Entscheidungsschlachten inszeniert werden. Wir leben in postheroischen Zeiten – so muss man diese Trivialisierung wohl deuten – und sehnen uns immer noch nach überlebensgroßen Helden.

Passend zum Wahlkampf widmet die Zeitschrift „Merkur“, die schon immer ein guter Seismograf gesellschaftlicher Befindlichkeiten war, ihr gerade erschienenes Sonderheft dem „Heldengedenken“. Nicht nur mit Blick auf das politische Personal konstatieren die Herausgeber Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel im Vorwort: Das Heroische sei keineswegs en vogue, werde aber inzwischen „wieder häufiger bedacht“, am liebsten in seiner Schwundstufe, dem „Helden des Alltags“.

In Deutschland ist der Begriff des Heldentums historisch kontaminiert, abgelöst wurde er von der Zivilcourage, die seit den siebziger Jahren immer wieder gerne beschworen wird. „Zeit“-Redakteur Jörg Lau spricht sogar von einer „regelrechten Zivilcourageindustrie, die dem Bürger zuredet, bei Gewaltsituationen im öffentlichen Raum nicht wegzuschauen, sondern tapfer zu handeln“. Allerdings warnt die Polizei in ihren Broschüren davor, „den Helden zu spielen“. Wo genau die Grenze zwischen Courage und Heldentum verläuft, bleibt auf mitunter lebensgefährliche Weise unklar. Der 50- Jährige, der vor ein paar Tagen in der Münchner S-Bahn eine Gruppe von Jugendlichen vor Angriffen zu schützen versuchte, wurde dabei totgeprügelt.

Helden, konstatiert der „Merkur“, sind ein Fantasma. Sie existieren in Büchern und Filmen, aber eher nicht in der Wirklichkeit. Karl Heinz Bohrer beschreibt Westernhelden als Fortentwicklung und Antipoden der mytholgischen Helden der Antike. Was sie voneinander unterscheide: Der Westener demonstriert in seiner Erscheinung „nicht das Scheitern des Individualismus, sondern seine extreme Erfüllung“. Achill folgte den Plänen der Götter, Helden wie der von John Wayne gespielte Rancher und Tyrannenmörder in „Der Mann, der Liberty Valence erschoss“ gehorchen nur ihrem eigenen Gesetz. Klassische Western kulminieren im Duell, bei dem sich Held und Schurke feierlich aufeinander zubewegen. Brilliant ist, wie Bohrer über mehrere Seiten hinweg die Gangarten von drei der größten Westernstars analysiert und dabei an die Darstellung mittelalterlicher Gesten anknüpft: Henry Fondas Schreiten, John Waynes Vorwärtsstürzen und das laszive Gehen Robert Mitchums.

Als Prototyp eines Helden der Morderne ist Don Quijote von Hegel und Foucault gefeiert worden. Quijote hat zu viele Ritterromane gelesen, deshalb zieht er aus, um gegen Windmühlen zu kämpfen. Modern an ihm ist, dass er allein seiner Abenteuerlust folgt. Und modern ist auch, dass ihn die Vergeblichkeit seiner Kämpfe zum Melancholiker macht. Sein Gehilfe Sancho Pansa nennt ihn einen „Ritter von der traurigen Gestalt“. Hans Ulrich Gumbrecht, Literaturprofessor in Stanford, erkennt in Quijotes Unfähigkeit, Wahn und Wirklichkeit auseinanderzuhalten, Parallelen zum Terrorismus: „Wie die Terroristen des deutschen Herbstes projiziert er das Weltbild einer fernen Vergangenheit auf seine Gegenwart, wie die Terroristen identifiziert er unter seinen Zeitgenossen andauernd Schuldige, die bestraft werden müssen, wie die Terroristen interpretiert er die Welt und handelt im Namen einer radikalen, höheren Gerechtigkeit.“

Zugespitzt formuliert, das zeigen die Essays im „Merkur“, lassen sich Helden in der Moderne nur noch als ironisch gebroche Figuren denken. Die Münsteraner Romanistin Karin Westerwelle entdeckt derlei Heldentum bei den Dandys von Balzac und Baudelaire, der Göttinger Germanist Heinrich Detering in den nur auf den ersten Blick eindeutigen Protagonisten Brechts. Und James Bond kämpft zwar im Geheimdienst Ihrer Majestät gegen das Böse, vor allem aber ist er – darauf verweist Tagesspiegel-Autor Bodo Mrozek – ein Agent der Popkultur, der mit den von ihm benutzten Produkten die Überlegenheit des Kapitalismus demonstriert.

Heldentum wurde lange mit Männlichkeit gleichgesetzt. Es hatte etwas Gönnerhaftes, wenn Vertreter der Generation Helmut Kohls über viele Jahre hinweg im Magazin der „FAZ“ auf die Frage nach ihrer „Heldin der Wirklichkeit“ im „Proustschen Fragebogen“ immer wieder antworteten: die „Trümmerfrau“. Die Trümmerfrau räumte den Schutt weg, den Männer verursacht hatten. Sie hat nicht mal einen Namen. Und sie steht nicht für die deutsche Schuld, sondern für deutsches Leid. „Wer Trümmerfrau sagt, sagt nicht Sophie Scholl“, schreibt die „FR“-Literaturkritikerin Ina Hartwig. Sie nennt die Namen von einigen Heldinnen aus der wirklichen Welt: Anna Politkowskaja, die ermordete russische Journalistin; Neda, die iranische Studentin, die bei den Demonstationen gegen den Wahlbetrug von Teheran angeschossen wurde und verblutete; oder Natalja Estemirowa, die russisch- tschetschenische Bürgerrechtlerin, die in Grosny starb.

"Heldengedenken. Über das heroische Phantasma." Merkur-Sonderheft, Klett- Cotta, 251 Seiten, 19 €.

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