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Jane (Julia Garner) wird zur stummen Zeugin der Missbrauchsstrukturen in ihrem neuen Job.

© Ascot Elite

MeToo-Drama im Stream: „The Assistant“ erzählt vom Schweigekartell in Hollywood

Das Monster am Telefon: Die amerikanische Regisseurin Kitty Greens hat den bisher besten MeToo-Film gedreht.

Von Andreas Busche

Jane ist jeden Tag die erste im Büro – und die letzte. Die Arbeitsroutine der jungen Frau, mit atemloser Anspannung von Julia Garner gespielt, zeigt Kitty Greens Spielfilmdebüt „The Assistant“ in einer stoischen, unterkühlten Abfolge von Einstellungen: hinter dem Computermonitor, an dem sie Terminpläne vorbereitet, am Kopierer, in der Büroküche beim Kaffeekochen – und im Büro ihres Chefs, in dem sie auf allen Vieren mit Gummihandschuhen die Couch von nächtlichen Spuren bereinigt.

Dass sich keiner der männlichen Mitarbeiter freiwillig auf die Couch setzt, weil alle wissen, was diese schon erlebt hat, wird dem Neuling im Team später als Schenkelklopfer erklärt. Wenn die ersten Kollegen, die Jane kaum wahrnehmen, bei Tagesanbruch im Büro auftauchen, hat sie bereits hastig eine Schale bunter Fruity Loops heruntergeschlungen. Ihr Frühstück ist einer der wenigen Farbtupfer in dem tristen Job.

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Vor drei Jahren hat die Enthüllung der Vergewaltigungsvorwürfe gegen den inzwischen verurteilten Harvey Weinstein das „System Hollywood“ in seinen Grundfesten erschüttert. Seitdem sind viele Frauen an die Öffentlichkeit gegangen, die erste Enthüllungswelle ist wieder abgeklungen.

Die amerikanische Filmindustrie zeigt sich nach außen hin geläutert, nicht zuletzt mit einer Reihe von Filmen, die die Missbrauchsstrukturen in der Unterhaltungsbranche, in Politik und Gesellschaft thematisieren. Der Fox-News-Film „Bombshell“ versuchte einen empört-satirischen Tonfall, die geplante Verfilmung von Jodi Kantors und Megan Twoheys Weinstein-Recherchen dürfte deutlich sachlicher ausfallen.

Schatten im Nebenzimmer, Stimme am Telefon

„The Assistant“, der auf der Berlinale lief und nun als VoD und DVD erhältlich ist, will dagegen weder sensationalistisch noch investigativ sein. Das namenlose „Monster“, wie einige Anklägerinnen Weinstein nannten, ist hier nur mittelbar präsent: als Schatten im Nebenzimmer oder Stimme am Telefon. Aber seine Macht durchdringt den Arbeitsalltag.

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Der Täter und seine Taten interessieren Kitty Green ("Casting JonBenet") weniger als das Umfeld, das den sexual predator erst ermöglicht. Jane ist die stille Beobachterin dieser Machtstrukturen, gleichzeitig ist sie diesen hilflos ausgeliefert.

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Als unterste in der Bürohierarchie – sie arbeitet erst fünf Wochen in der Produktionsfirma – muss sie sich mit der wütenden Frau ihres Chefs herumschlagen, die sich über gesperrte Kreditkarten beschwert (und sich anschließend von ihm eine Tirade über ihr eigenes Fehlverhalten anhören), das Spalier junger Frauen voller Hoffnungen auf eine Hollywoodkarriere durchs Büro führen und nebenbei die Kinder des Chefs bespaßen. Am Abend dann seine Mail: „Du bist gut. Ich bin nur so hart mit dir, weil ich dich großartig machen will.“

Arbeitsplatz-Thriller über Machtdynamiken

Green hat eine Art Arbeitsplatz-Thriller gedreht. Der Suspense speist sich aus den subtilen Beobachtungen der Machtdynamiken. Beim Formulieren der Entschuldigungsmail (zwei Mal im Laufe des Arbeitstages, den „The Assistant“ begleitet, muss sich Jane dazu unter Tränen aufraffen) stehen plötzlich ihre beiden Kollegen hinter ihr, halb solidarisch, halb besserwisserisch, um ihr die richtigen Worte in den Mund zu legen. Ihr Besuch im Personalbüro, wo Jane ihre Befürchtungen vorbringen will, dass der Chef Frauen missbraucht, gerät zum Fiasko.

(Jetzt als DVD/BluRay (Ascot Elite) und VoD erhältlich)

Der Personalchef (Matthew Macfadyen mit einem Lächeln wie eine Rasierklinge) dreht den Spieß um, so dass Jane als missgünstige Kollegin dasteht. Der Gesprächsverlauf ist heute hinreichend bekannt, viele Frauen, die mit ihren Anklagen auf taube Ohren stießen, haben ähnliches berichtet. Am späten Abend telefoniert Jane dann im Diner mit ihrem Vater, der sich über den neuen Job für seine Tochter freut – während ihr Chef oben im Büro die nächste junge Frau begrüßt. Ein ganz normaler Tag im Büro.

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