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Meyer-Wehlack: Der geheime Ton

Ein Geburtstagsgruß für den Berliner Schriftsteller Benno Meyer-Wehlack von Maria Sommer, die als Verlegerin in Berlin lebt.

Was sollen wir denn in unserem neunten Lebensjahrzehnt, das auch Du heute beginnst, Benno, mein Autor, mein Gefährte, mein Freund, was können wir uns wünschen, was erhoffen? Wenn ich heute gratulieren komme, dann in die neue Wohnung, verkleinert, die Sammlung der Bücher, der Bilder schmerzlich reduziert, die Mommsenstraße, Lebensraum über 60 Jahre, Schicksal bestimmend und begleitend, zwangsweise aufgegeben wegen Luxussanierung und also für Schriftsteller nicht tragbarer Verteuerung.

Hier hatte, nach Ausbombung und Kriegsende, das Erwachsenwerden, das „normale“ Leben begonnen, auch das Schreiben, auch der Kampf ums Über-Leben von einem Tag zum anderen mit Gelegenheitsarbeiten und Schwarzmarkt (und deshalb auch ein paar Tagen Knast – jemand wie Du musste ja erwischt werden!), mit Teekochen auf dem Bau und Lastenschleppen bei einer Spedition und Lattentragen beim Landvermesser – und dann den ersten Geschichten in der „Neuen Zeitung“ und im „Kurier“. Die hatte ich – aufmerkend – gelesen, wusste also, dass der schmale, blasse Junge, der mir recht wortkarg das Manuskript eines Stückes auf den Tisch legte, schreiben konnte. Aber dann – welche Verlegerpein! Dieses Rennfahrerstück, das fast nur aus Mauerschau bestand – Handlung geschieht nicht, sondern wird beschrieben –, schien mir nicht spielbar. Wie ihm das sagen? Mir war handfest übel vor der Stunde der Wahrheit. Er wurde noch etwas blasser, der Junge, antwortete aber tapfer auf meine Frage, ob noch etwas anderes Dramatisches vorläge: zwei Hörspiele, ja, aber niemand wolle sie haben. Nach der Lektüre telefonierte ich mit Heinz Schwitzke im NDR Hamburg – und so begann die Karriere, die sogleich für eines dieser Erstlingswerke, „Die Versuchung“, den Preis der Kriegsblinden brachte (nach Ingeborg Bachmann und Max Frisch), viele Wiederholungen und neue Aufträge. Kürzlich bot ein Antiquariat eine schöne autografische Trouvaille an: eine Karte von Günter Grass an Hans Werner Richter, der 1960 eine Hörspieltagung der Gruppe 47 vorbereitete: „Wenn Hörspiel, dann keinesfalls ohne Benno Meyer-Wehlack!“

Und dann der große Sprung zum Fernsehen – eingeladen zu einem Experiment im Südwestfunk Baden-Baden, dort festgenagelt in der neuen Fernsehdramaturgie. Ach, diese frühen Tage des neuen Mediums! Diese Stunden des stillen Nachdenkens, des heftigen Diskutierens über Stoffe, des Ausprobierens – der junge Kameramann Peter Lilienthal, ein Berliner Gefährte, bekam dort seine erste Regie! Von der Möglichkeit, die ersten künstlerischen Schritte des Fernsehens mitzumachen, lese ich in einem „Lebensbild“ von 1959 – und vom plötzlichen Jubel: Spaß zu haben an der ganzen unbegreiflichen Melodie.

Aufbruch, wohin immer man schaut – und in allen Berichten über diese Anfänge, auch in den oft gründlichen und ausführlichen Kritiken der Tagespresse, kommt ein Wort niemals vor: das Wort „Quote“. Man scheut sich im Gegenteil nicht hervorzuheben, wenn sich in „einer Textur – ein Stück Alltag, gewusst wie, eine Facharbeit … etwas eingesponnen hat, was man mit einiger Courage Poesie nennen könnte …“. Und von „einer zeitgenössischen Wirklichkeitsdichtung“ zu sprechen, die man nicht so leicht vergessen werde, so Sibylle Wirsing im Tagesspiegel 1971.

Ich habe mir, lieber Benno, wie Du merkst, in unserem Archiv angeschaut, was über Dich geschrieben wurde. Es ist doch von denen, die Deine Arbeiten gehört, gesehen, gelesen haben – denn es kommen ja auch einige Prosawerke hinzu, „Pflastermusik“, „Das Kinokind“, „ Das Theaterkind“, „Das Lesekind“ mit Berliner Geschichten und „Ernestine geht“, der Roman einer alten Wienerin in ihrer untergehenden Welt –, es sind nicht so wenige, die diesen geheimen Ton hören, „den man mit einiger Courage Poesie nennen könnte“. Als Du anfingst, hatte man schnell das Etikett „Magischer Realismus“ bereit – das würde man heute wohl vermeiden. Es genügt, wenn Deine Hörer, Zuschauer, Leser spüren, dass etwas in ihnen berührt wird, eine Membrane. Vielleicht ist unter ihnen ja auch ein Lektor, der seinem Verleger empfiehlt, er möge sich um Deine Tagebücher aus der Berliner Nachkriegszeit und um Deinen Berlinroman bemühen. Dieses jedenfalls, lieber Benno, wäre mein Wunsch für Dich an Deinem 80. Geburtstag.

Maria Sommer lebt als Verlegerin in Berlin.

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