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Michael Jastram im Schadow-Haus: Ein Bildhauer reitet ein

Michael Jastram ist mit seinem Bildhaueratelier zu Gast im Schadow-Haus. Bei der Betrachtung seiner Arbeiten zeigen sich Anknüpfungspunkte an Schadow selbst.

Dieser Stier spürt das Gewicht seiner Reiterin nicht. Sein wuchtiger Körper, aus kantigen Platten gefügt, steht trotzig im Raum wie ein Panzer. Zierlich auf ihm thront Europa, eine schmale Göttin, so als habe sie auf einem Ausguck Platz genommen. Das Ganze ist ein sperriges Gebilde, so wie das politische Europa bisweilen. Der Bildhauer Michael Jastram, geboren 1953 in Ost-Berlin, hat die mannshohe Gipsskulptur in das historische Atelierhaus Johann Gottfried Schadows verfrachtet. Auf Einladung des Kunstbeirats des Deutschen Bundestages, der im noblen klassizistischen Domizil seinen Dienstsitz hat, arbeitet der Künstler für vier Monate nicht wie sonst in einer Industrieetage im Wedding. Stattdessen testet er die Konfrontation mit dem Schaffensort des Altmeisters, dessen Quadriga gleich um die Ecke das Brandenburger Tor ziert.

Ein originaler Pferdekopf Schadows wurde von den Kuratoren in die Jastram-Ausstellung gewuchtet. Der in seiner Überlebensgröße hier monströs wirkende Gipsschädel soll dem Gegenwartskünstler als Stein des Anstoßes, der Inspiration, der Auseinandersetzung dienen. Die ursprünglichen Atelierräume Schadows sind zwar verschwunden, schon im 19. Jahrhundert nach seinem Tod wurde das Wohnhaus aufgestockt und der rückwärtige Ateliertrakt abgerissen. Was vom einzigen klassizistischen Künstlerhaus Berlins übrigblieb, wurde vor einigen Jahren denkmalgerecht herausgeputzt. Die als Büroräume genutzten Trakte bleiben gewöhnlichen Bürgern verschlossen.

Der Arbeitsprozess kann losgehen

Im Seitenflügel hat sich die Jastram-Ausstellung samt seinem Bildhaueratelier eingenistet. Sie bietet eine Retrospektive der letzten Schaffensphase: Schöne, fragile Gipsfiguren ragen spillerig und hochbeinig auf. Manche ähneln Gestellen, Architekturen, unbewohnbaren Stelzenhäusern oder unverrückbaren Rollwagen, besetzt mit Männern oder Frauen. Als Reittiere gesellen sich Pferde hinzu, auch eine ziemlich bizarre Quadriga hat Jastram geschaffen. Anknüpfungspunkte an Schadow sind also da.

Mit Glück trifft man hier den Bildhauer selbst. Einst führte auch Schadow ein gastfreundliches Haus, begrüßte hohen Besuch aus höfischen Kreisen und einfache Bürger. Ein paar Gipsspritzer auf dem Boden zeugen von ersten Arbeitsanläufen Jastrams. Er hat halbfertige Arbeiten mitgebracht, ein Regal mit CDs von Zappa und Tom Waits bestückt und einen großen Zeichentisch ans Fenster gerückt. Zeichnen ist für ihn immer zentral beim Finden einer plastischen Idee. Eine Pinnwand mit Skizzen und Fotos berichtet vom Arbeitsprozess. Auch Säcke mit Gips liegen bereit. Es kann losgehen.

Jastrams Arbeiten könnten Schadow gefallen haben

1805 wurde das Haus errichtet, damals in Stadtrandlage nahe dem noch jungen Brandenburger Tor. Im selben Jahr zog Schadow ein. In Supraportenreliefs über dem Hofdurchgang schilderte der Bildhauer die Entstehung der Künste. Wie auf einem Firmenschild machte er programmatisch die Funktion des Hauses und seinen künstlerischen Anspruch deutlich. Da sieht man den antiken Bildhauer Phidias im Gespräch mit Staatsmann Perikles sowie die berühmte Laokoon-Gruppe, noch unfertig im Atelier ihres Schöpfers.

Aber das hehre, ideale Vorbild der Antike war Johann Gottfried Schadow nicht alles. Er wusste: „Die Sucht, elegante Formen in allen Gestaltungen anzubringen, ist wohl der Grund der vielen falschen und manirierten Kunstwerke von sonst genievollen Künstlern.“ Die spröde Schönheit von Michael Jastrams Arbeiten könnte ihm vielleicht sogar gefallen haben.

Schadow-Haus, Schadowstr. 12-13, bis 3. 10.; Di bis So 11 – 17 Uhr

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