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Michael Kiwanuka bei seinem Konzert in Berlin.

© Martin Müller/Imago

Michael Kiwanuka live in Berlin: Die Zeitkapsel sprengen

Michael Kiwanuka stellt bei seinem Konzert im ausverkauften Berliner Huxleys sein drittes Album vor und zeigt wie gegenwärtig Soul klingen kann.

Von Andreas Busche

Debütalben nach sich selbst zu benennen, wirkt meist ziemlich einfallslos. Sein drittes Album selbst zu betiteln, ist dagegen eine Ansage. Als hätte da jemand seine Stimme gefunden, fallen Künstler und Werk plötzlich in eins. Michael Kiwanuka nennt sein drittes, im November erschienenes Album schlicht „Kiwanuka“. Und um dieses Selbstbewusstsein zu unterstreichen, imaginiert sich Kiwanuka auf dem Cover als afrikanischer Prinz: mit goldenem Kragen, weißer Robe und aufrechtem Blick. Kann man machen.

Auf dem Vorgänger „Love & Hate“ von 2016 beschrieb der britische Soulsänger seine Erfahrungen als „Black Man in a White World“ noch in Form eines Großstadtblues, inklusive Handclaps, wie man sie aus den Arbeitsgesängen schwarzer Kettensträflinge kennt, die der Musikethnologe John Lomax in den Dreißigern im Angola Prison aufnahm. Mehr als jedes andere Genre ist Soul mit Geschichte aufgeladen. Als Soundtrack der Bürgerrechtsbewegung, aber auch als Musik, mit der sich Afroamerikaner erstmals die Produktionsmittel aneigneten, nachdem bereits Blues und Rock’n’Roll von Elvis und den Rolling Stones gekapert worden waren.

Michael Kiwanuka ist sein Geschichtsbewusstsein immer mal wieder vorgehalten worden. Sein Debüt „Home Again“ war eine verblüffend originalgetreue Reproduktion des amerikanischen Autorensouls der frühen Siebziger: eine betörend schöne Zeitkapsel, aber auch hoffnungslos nostalgisch. Mit dem Nachfolger „Love & Hate“ (2016), produziert vom Vintage-Fetischisten Danger Mouse, weitete er sein Repertoire buchstäblich ins Sinfonische aus. Der Eröffnungssong „Cold Little Heart“, der Kiwanuka international zum Durchbruch verhalf (als Titelstück der HBO-Serie „Big Little Lies“), schwillt über zehn Minute zum Opus an.

Kunstvoll ondulierter Afro und kantiger Bart

Man könnte „Kiwanuka“, das dritte Album, also als Feuerprobe verstehen, irgendwo zwischen dem geschichtsträchtigen Debüt und dem opulent durchproduzierten, dabei superpersönlichen Nachfolger. Michael Kiwanuka ist seit dem Erfolg mit „Cold Little Heart“ nicht mehr nur ein sehr talentierter Soulsänger, er ist inzwischen ein kleiner Popstar.

Und dann steht er am Dienstagabend geradezu unscheinbar in einer Strickjacke auf der Bühne des ausverkauften Huxleys, flankiert von einer phänomenalen Band und zwei Sängerinnen. Entscheidend aber ist die Silhouette: Kiwanukas kunstvoll ondulierter Afro und sein kantiger Bart haben tatsächlich eine stolze, noble Anmutung.

Kiwanuka wechselt von der E-Gitarre zur akustischen

In dieser Besetzung verpuffen auch schnell alle Bedenken, die man als Soulpurist gegenüber dem Popstar Michael Kiwanuka haben könnte. Der studierte Jazzer ist erst live eine Offenbarung, das Studio nur eine Erweiterung seines Ausdrucks.

Das Set konzentriert sich auf die Songs des aktuellen Albums, ergänzt um Stücke vom sparsamer arrangierten Debüt: für Kiwanuka eine gute Gelegenheit, zwischendurch die E-Gitarre gegen eine akustische einzutauschen. Aber das Herz der Songs ist seine Stimme, die nicht den butterigen Schmelz eines Isaac Hayes besitzt, nach dessen Großwerken die Produktion heimlich schielt, sondern die granulare Erdigkeit von deutlicher vom Folk beeinflussten Sängern wie Bill Withers und Terry Callier.

Ohne den Firlefanz von Danger Mouse gewinnt die Musik nochmals an Klarheit. Live lebt ein Überstück wie das siebenminütige „Hard to Say Goodbye“ nicht bloß vom Retro-Reverb auf der Gitarre und orchestralem Pomp, sondern von einer Band, die den Coffeetable-Soul in rohe Psychedelik ausufern lässt.

Die Keyboards malen nicht großflächig, sondern wummern in der Tiefe. Entledigt vom Zitatwerk befreit sich Kiwanuka auch vom Ballast der Geschichte, die Musik kommt ganz ohne Hip-Hop-Beat in der Gegenwart an. „I used to hate myself / You got the key / Break out the prison“, singt er in „You ain’t the Problem“. Michael Kiwanuka hat seine Stimme gefunden.

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