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Vitalität und Wehmut. Nach 45 Jahren nimmt Michael Krüger Abschied vom Münchner Hanser Verlag.

© IMAGO

Michael Krüger: Das unbändige Leben der Agaven

Machtbewusstsein und Empfindsamkeit: Michael Krüger feiert 70. Geburtstag. Nicht nur mit dem Hanser Verlag hat er Literaturgeschichte geschrieben.

Von Gregor Dotzauer

Von ihm würde man sich, wie es so schön heißt, auch das Telefonbuch vorlesen lassen – und als Zugabe gleich noch das Umsatzsteuergesetz, die Lippmann-Schwinger-Gleichung und die Wochenangebote von Aldi. Die Michael Krüger eigene Emphase, deren Wirkung auch auf einer tief in der Kehle ansetzenden und teils durch die Nase ausströmenden Stimme beruht, wäre allerdings verschwendet, wenn sie nicht auch seiner Kunst, schlechte Gedichte vorzutragen, zugutegekommen wäre. Es gibt keine vernichtendere Art der Literaturkritik als zu erleben, wie er schiefe Bilder, verbrauchte Metaphern und hohlen Gefühlsüberschwang mit kaum merklichem Gift so einspeichelt, dass sich alles Gestelzte und Klappernde nur noch in Krämpfen windet.

In solchen Momenten sitzt er über Dichtung unerbittlich zu Gericht und würde, wenn ihm nicht zugleich die wahren Verbrechen dieser Welt vor Augen stünden, furchtlos die Todesstrafe verhängen. Zugleich sieht man ihm an, wie tief enttäuscht er über die Dummheit, die Sorglosigkeit oder das Unvermögen von Schriftstellern ist, die doch dazu berufen sind, Glück und Erkenntnis zu stiften. Wie stehlen sie uns im Jammertal der Endlichkeit die Lebenszeit, und was tun sie erst sich selber an, sie mit solchen Machwerken zu vergeuden! Vielleicht ist das der Moment, in dem die ganze Doppelnatur seines Charismas aufblitzt: jene so anziehende wie seltene Mischung aus Machtbewusstsein und melancholischer Empfindsamkeit, in deren Dunstkreis man ebenso aufblühen wie vergehen kann.

Michael Krüger, am heutigen Montag vor 70 Jahren im sächsischen Wittgendorf geboren und in Berlin-Nikolassee aufgewachsen, ist in literarischen Angelegenheiten ein glühend Liebender, mit allen Gefahren für seine Umgebung, wenn die Glut zum Zornesfeuer wird. Vermutlich könnte er gar nicht so viel einnehmenden Charme entwickeln, wenn diesem nicht auch ein cholerisches Temperament innewohnen würde und Krügers Langmut eine rasende Ungeduld. Was immer ihm aber zu Gebote steht – Dünkel sucht man bei ihm vergeblich. Mit diesen Eigenschaften hat er hemdsärmelig und pulloverlocker noch fast jeden um den Finger gewickelt.

In den 45 Jahren, die er in den Diensten des Münchner Hanser Verlags verbrachte, davon die letzten 27 als dessen Leiter, wurde er zum markantesten Kopf einer literarischen Republik, die zwischen kulturellen und ökonomischen Werten noch nicht vollständig zerrissen war. Er wurde dazu auch, weil er sich auf der künstlerischen wie der geschäftlichen Seite mit demselben Sachverstand und Selbstbewusstsein zu bewegen wusste. Ob als Verleger des neben Suhrkamp bedeutendsten literarischen Hauses, das sich seine Unabhängigkeit von keinem Konzern abkaufen lassen will, als Juror, Lobredner, kulturpolitischer Streiter, Lyriker oder Erzähler: Er jongliert mit so vielen Talenten, dass es ein Wunder ist, dass sie nur um sein Schlafpensum konkurrieren – und nicht auch um seinen Verstand. Krügers kurze Nächte, die ihn keinen Funken Geistesgegenwart zu kosten scheinen, sind Legende.

Wenn er zum Jahresende sein verlegerisches Amt an Jo Lendle abgibt, ist dies nicht nur ein persönlicher Einschnitt, der ihm wie eine Amputation vorkommt. Es ist auch das Symbol einer zu Ende gehenden literarischen Epoche, die längst ihre Toten zählt und mit Auferstehungen nur bedingt rechnen darf. Zbigniew Herbert, Joseph Brodsky, Czeslaw Milosz, Edmond Jabès oder Jorge Luis Borges: Viele von denen, die Michael Krüger zu den Seinen zählt, sind für das diffundierende Lesepublikum schon jetzt unmaßgeblich.

Der kulturkritische Rochus, der ihn dabei immer öfter packt, ist eine zwiespältige Angelegenheit. Denn die durchaus unterhaltsamen Jeremiaden, mit denen er dem grausam lächerlichen Schauspiel des Werdens und Vergehens gegenübertritt, leben mindestens so sehr von einem unverzichtbaren Kampfgeist wider Philister, Bürokraten und andere Geisteszwerge, wie sie davor kapituliert haben, die veränderten Gepflogenheiten auch nur zu begreifen.

Er gehört zu den wenigen, die so früh und ausdauernd in Literatur und Philosophie gebadet haben, dass ihnen ein Studium womöglich nur geschadet hätte. „Die Edition Suhrkamp, das war meine Uni“, hat der gelernte Drucker und Buchhändler gestanden. In die Schule war er allerdings schon in den Nikolasseer Gamba- Stuben gegangen, wo er dem Kunsthistoriker und Übersetzer Gerd Henniger begegnete, der ihn mit den Herrlichkeiten des französischen Surrealismus bekannt machte. Und natürlich hat er an der Freien Universität in Dahlem später doch die eine oder andere Philosophie-Vorlesung besucht.

„Umstellung der Zeit“ heißt der Band, den er unlängst bei Suhrkamp veröffentlicht hat: lakonische Gelegenheitsgedichte, entstanden auf Reisen, im Garten und auf den Inseln, die das Leben einem sonst noch so lässt. Der elegische Grundton, der sich trotz ihrer prosanahen Faktur einstellt, spiegelt Krügers ganze Abschiedsvitalität. „Heute wurden unsere zwei Agaven / zurückgebracht, die den Winter über / in einer Gärtnerei um die Ecke / in Pension waren“, heißt es in „Setzlinge“. „Unter ihren gurkengrünen fleischigen Degen / schauen mehr als zwanzig Setzlinge hervor, / sorglos und neugierig wie junge Katzen. / Entfernen? fragt mich der Gärtner, / der nach nasser Wolle riecht. / Entweder sie werden den Tontopf sprengen / oder alle zusammen eingehen. / Ich bin jetzt achtundsechzig Jahre alt / und ich kann mich nicht entscheiden. / Ende Oktober wissen wir mehr.“

Was haben wir in der Zwischenzeit über ihn erfahren? Pünktlich zu seinem runden Geburtstag kommt die Nachricht, dass man ihn ins Präsidium des Goethe- Instituts gewählt hat, nachdem er im Sommer schon die Präsidentschaft der Bayerischen Akademie der Schönen Künste übernahm. Insofern werden die Aufgaben, die man an ihn herangetragen hat, wie gewohnt mit denen wetteifern, die er sich selbst gestellt hat. Darunter ist die halsbrecherischste wohl die, endlich den Roman weiterzuschreiben, in dem er Bilanz ziehen will. Sein Arbeitstitel heißt nicht zufällig „Das Testament“.

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