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Michael Rutschky, Schriftsteller und Autor; 2013 fotografiert im Arbeitszimmer seiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Foto: Thilo Rückeis

© Thilo Rückeis

Michael Rutschky und sein Nachruhm: Sensationen des Ungewöhnlichen

Der Roman eines Lebens: Nie scheint der Ruhm des Berliner Schriftstellers und Essayisten Michael Rutschky größer gewesen zu sein als jetzt.

Dieser Stoff taugt für einen Roman, wenn nicht gar mehrere; für einen, den Michael Rutschky nie geschrieben hat, nie schreiben wollte, aber aus der Feder eines oder einer anderen sofort als solchen erkannt hätte. Vielleicht aber hat der im März 2018 verstorbene Rutschky geahnt, als er schon todkrank die Notate für seinen dritten Tagebuchband noch selbst transkribierte: dass dieser Band mit dem Titel „Gegen Ende“ die Nachwelt überraschen, ihn in einem ganz anderen Licht zeigen und viele seiner Getreuen nicht zur Ruhe kommen lassen würde.

In „Gegen Ende“ regieren Depression und Düsternis, Neid und Bitternis, Offenbarungen über die Ehe mit seiner 2010 verstorbenen Frau, die doch keine so vorbildliche war, wie alle dachten, sondern eher eine zerrüttete Ehe; und Offenbarungen über sich selbst, den stets freundlichen, freudig seine Grußarbeit verrichtenden R., der doch kein so freundlicher, umgänglicher Mensch gewesen ist, sondern ein narzisstischer, eitler, schnell gekränkter Autor. Von „Verstörung“ war auf Rezensentinnenseite viel die Rede; und doch war einiges aus „Gegen Ende“ schon im ersten Tagebuchband angelegt, in den „Sensationen des Gewöhnlichen“. Zum Beispiel als es darin um Dasein und Paranoia des freien Medienschaffenden geht: „Alle Augenblicke von Erfolgsgewissheit verdankten sich Täuschungen und Selbsttäuschungen. Überhaupt deuten alle Zeichen seit Urzeiten auf Misserfolg – kaum zu glauben, wie lange das ignoriert werden konnte.“ Auch spürt man hier, dass der Bruch mit dem Zögling Rainald Goetz nicht so spurlos an R. vorübergegangen ist, es nicht so einfach war, Goetz’ Karriere bis hin zum Büchner-Preis zu verfolgen und mit der eigenen, viel bescheideneren zu vergleichen.

War Rutschky zu früh dran mit seiner Art des essayistischen Schreibens?

Jetzt aber feierte in der „SZ“ Willi Winkler in einer langen Aufbereitung des Falls Rutschkys dessen Tagebücher und gerade den dritten Band als „das Finsterste und zugleich Hellste, was die blasse deutsche Literatur gegenwärtig zu bieten hat“. Und in der aktuellen „Zeit“ bestätigt der Rutschkyaner Stephan Wackwitz auf einer ganzen Seite, dass es im Rutschky-Kreis eine „Nachtseite“ gegeben hatte, „Wut, Strafe, Verstoßung“ drohten bei mangelnder intellektueller Solidarität.

Ob es noch mehr Rutschky-Nachlesen gibt? Nie scheint dessen Ruhm größer gewesen zu sein als jetzt. Wackwitz wünscht sich, dass dem Werk von R. „Gerechtigkeit“ widerfährt. Gut möglich, dass Michael Rutschky immer ein bisschen zu früh dran war mit seiner Art des essayistischen Schreibens, des Großmachen des Kleinen, Gewöhnlichen; dass die Popliteratur und die Berliner Republik ihn dann in den Schatten stellten. Und der Roman zu seiner Zeit immer das Mittel der Wahl war, um zu Ruhm zu kommen, populär zu werden.

Inzwischen ist das anders, die Gattungsbegriffe haben sich zunehmend aufgelöst, es wäre die Zeit Rutschkys. „Gegen Ende“ ist vielleicht nur der Anfang dafür, dass andere seiner Bücher, solche wie „Zur Ethnographie des Inlands“, „Erfahrungshunger“ oder „Berlin. Die Stadt als Roman“, noch einmal neu entdeckt werden.

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