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Komponieren und improvisieren. Michael Wollny in der Akademie der Künste.

© Jörg Steinmetz

Michael Wollny beim Bauhaus-Festival: Erfinden, gestalten, verformen

100 Jahre Bauhaus: Der Jazzpianist Michael Wollny und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnen in Berlin das Jubiläumsfestival.

Von Gregor Dotzauer

Wie orgiastisch Andor Weiningers Bauhaus-Kapelle vor bald hundert Jahren klang, ist leider nur schriftlich überliefert. „Der Tanz nimmt kein Ende. Die Jazz-Kapelle zerbricht ihre Instrumente“, schrieb Farkas Molnár, ein Student von Meister Johannes Itten im Jahr 1925. „Barometer 365 Grad. Spannungsmaximum. Zapfenstreich, der Henker erscheint. Roter Pfeil. Notausgang.“

Michael Wollnys fünfköpfiges Ensemble, das jetzt in der Akademie der Künste am Hanseatenweg die Feierlichkeiten zur 100. Wiederkehr der Bauhaus-Gründung in Weimar mit der fulminanten Großkomposition „bau.haus.klang – eine harmonielehre“ eröffnete, kann da auf den ersten Blick nicht mithalten. Denn obwohl die Musiker wirklich alles geben, jagen sie am Ende nicht ihr Bühnenarsenal in die Luft. Perfekte Tonabnahme vor hochauflösenden Arte-Kameras. Mitteleuropäische Zurückhaltung der Ehrengäste in mitschwingresistenten Sitzen. Der Bundespräsident hält eine festliche Rede. Tonschwaden im Gewölk der Verdampfer-Nebelmaschine. Datteln im Speckmantel beim anschließenden Stehempfang.

Aber was folgt daraus? Zum einen steckte der deutsche Jazz zu frühen Bauhaus-Zeiten noch ganz in den Kinderschuhen von Ragtime, Charleston und anderen schlichten synkopischen Vergnügungen, während ihn heute Siebenmeilenstiefel vom Pop bis zur geräuschhaften Avantgarde tragen. Zum anderen war die Bauhaus-Kapelle zunächst ein reines Unternehmen zur internen Belustigung, bevor es, in seiner Lust am anarchischen Krach gezähmt, für ein breites Publikum zu Fasching und ähnlichen Gelegenheiten aufspielte. Mit den ästhetischen und weltanschaulichen Visionen, die man erst in Weimar und später in Dessau verfolgte, hatte die Kapelle nichts zu tun.

Synästhetischer Ansatz

Ihnen vor allem hat sich nun Michael Wollny gewidmet und eine Hommage geschaffen, die der am Bauhaus offiziell nicht vertretenen Disziplin der Musik eine imaginäre Gestalt aus dem Geist der farblichen und formalen Synästhesien verleiht. Und diese Gestalt hat eine vielgliedrige Beweglichkeit, die zwar nicht auf bewusstlose Ekstase zielt, doch sich zwischen Kopf und kleinem Zeh auf viele Arten einnistet.

Wollnys anderthalbstündige Suite trägt ihr Programm schon in den Namen der vier Sätze: „werkstofflehre“, „lyrisches kabinett“, „spiel – zeug – arbeit“ und „bauhaustanz“. Die 22 Untersätze buchstabieren es en detail aus. Das geschieht mal eher atmosphärisch, mal eher technisch – und in einer Konstellation, die sowohl dem mechanisch Konstruierten und Abgespulten wie dem lebendig Erfundenen und Behauchten zum Recht verhilft. Denn zusammen mit dem improvisierenden Pianisten Wollny tritt Wolfgang Heisig auf. Mit seinem lochkartengesteuerten Phonola aus dem Haus des Leipziger Musikinstrumentenbauers Ludwig Hupfeld, kann er auf dem zweiten Flügel keinen einzigen unvorhergesehenen Ton erzeugen. Er hat diesen vordigitalen, mit den Füßen angetriebenen Automaten, der die normale Tastatur bedient, zwar mit Wollnys Musik gefüttert, kann der menschlichen Erfindungsgabe seines Gegenübers aber nur mit einer unmenschlichen Virtuosität entgegentreten.

Digital manipuliert ist wiederum jedes natürlich erzeugte Geräusch von Metall, Glas oder Stoff, das der britische Soundkünstler Leafcutter John durch die Verformungsräume seiner Software schickt: in Live-Sampling der Materialien, die am Bauhaus Verwendung fanden. Unmittelbar körperlich dagegen das Schlagzeug von Max Stadtfeld und das Sopransaxofon von Emile Parisien: Instrumente, die anders als das Klavier keine langen Übersetzungswege brauchen. Einsatz verlangen alle Klangerzeugungsmethoden: Wenn Wollny ans Harmonium wechselt, strampelt er sich genauso ab, dem Instrument Atem einzuhauchen, wie Heisig, der die Transmissionsketten seines Player Pianos auf Touren bringen muss.

Bild und Struktur. Der Bauhäusler Wassily Kandinsky malte 1926 „Drei Klänge“.
Bild und Struktur. Der Bauhäusler Wassily Kandinsky malte 1926 „Drei Klänge“.

© picture alliance / akg-images

Der Abend beginnt mit „kadenz und vorspiel“: einer von Wollny am Flügel majestätisch vorgetragenen Dur-Moll-Folge, die bald in Heisigs Lochkartenwelt hinüberwandert. Im Takt einer wacker marschierenden Snaredrum wechselt sie zu einem im Unisono mit dem Sopransaxofon darüber hinwegspringendes Thema. Und er endet mit einer Überschreibung von Wollnys „Hexentanz“, einem Stück, mit dem er besonders seine Solokonzerte gerne beschließt, bevor zum Kehraus ein von Stadtfelds Basstom entfesseltes „kinetisches fest“ lostobt.

Dazwischen vertraute Formen in frischem Gewand. Eine Josef Maria Hauer, dem mit Johannes Itten im Briefwechsel stehenden Urvater der Zwölftonmusik, gewidmete „mechanische passacaglia“. Ein „kleiner dreier“, der sich tatsächlich im Dreivierteltakt wiegt. Ein maschinell aufwallender „bach am bauhaus“, der im improvisierten Funkenflug zerstiebt. Oder eine „mixolydische hexametrik-synthese“, die den Modus der um ihr Fis gebrachten G-Dur-Tonleiter mit einem Sechserrhythmus kombiniert. Was hier einmal ausdrücklich „abstraktion heißt, ist bei aller Hinwendung zur Formstrenge des Bauhauses zugleich ein organisches Stück zeitgenössischer Jazz: voller balladesker Momente, prägnanter Themen, die mitunter strawinskyhaft wirken, und zahlloser Turbulenzen, vom ersten Trudeln bis zum freien Ausbruch.

Design für Besserverdienende

Das Bauhaus, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Konzert, habe ursprünglich von der „Utopie eines Aufgeräumtseins des Daseins“ gelebt, einer „Übersichtlichkeit der Welt“. Viele mute es deshalb heute als Inbegriff einer Kühle an, die nur wenig Heimat und Geborgenheit schenke. In einer seltsamen Dialektik der Geschichte hätten sich insbesondere Bauhaus-Möbel zum Distinktionsmerkmal einer Geschmackselite von Besserverdienenden entwickelt. Er selbst nehme sich da nicht aus.

Dennoch wolle er festhalten an einem inneren Zusammenhang von Bauhaus und Aufbruch in die Freiheit der Weimarer Republik. Man müsse die lebens- und sozialreformerischen Impulse nur in ein „lebbares Heute“ übersetzen. Hundert Jahre Bauhaus seien „eine riesige Ressource für Orientierung in der Moderne des 21. Jahrhunderts“. Eine Tradition, die „ein möglichst gutes Leben für möglichst alle in einer Welt“ anbietet, die „für alle eine Zuhause sein soll“.

Bei einem solchen Jubiläum muss man wahrscheinlich so optimistische Worte finden. Dabei sind gerade die Anfänge des Weimarer Bauhauses abenteuerlich heterogen. Ein Teil der Studierenden hing den kruden Philosophemen des damals wirkmächtigen Wanderpredigers Ludwig Christian Haeusser an. Ein anderer schloss sich Johannes Ittens gegen Haeusser gerichteteter, nicht unbedingt weniger esoterischer Mazdaznan-Lehre an. Ein dritter hegte bald Sympathien für den theosophisch beeinflussten Asketismus von Theo van Doesburg und der Gruppe De Stijl. Auch politisch gab es trotz der Vertreibung nach Dessau und der Zwangsschließung durch die Nazis politisch durchaus widerstrebende Impulse.

Michael Wollny muss das nicht weiter kümmern. Mit „bau.haus.klang“ hat er etwas unrettbar Verlorenes in die Gegenwart transportiert und seine eigene Welt erweitert. Es gibt die still vor sich hinkriechende Düsternis seiner Nocturnes und den blitzenden Überschwang seiner Improvisationen, die auch Parisien und Stadtfeld beflügelt. Es gibt die Auseinandersetzung mit bildhaften Partituren, wie er sie auf andere Weise in seinen Bach- und Skrjabin-Projekten erprobt hat. Und es gibt das hypnotisch Nähmaschinenhafte seiner „Wunderkammer“-Musik für Klavier, Cembalo und Celesta. Wirklich aufgehen werden einem die Ohren wohl erst beim zweiten Hören.

Die Veranstaltung ist als Video unter bauhaus100.de und arte.tv abrufbar.

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