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Der Gastwirt als Cowboy. Michel Würthle posiert im Western-Look.

© Josef Fischnaller/Galerie Crone

Michel Würthles Zeichnungen: Wiener Western

Als Gastronom ist Michel Würthle eine West-Berliner Legende. Dass der Chef der Paris Bar aber auch Künstler ist, wissen nur wenige.

Bevor sich hier noch ein Gerücht festschreibt, gehört eines erst mal klargestellt: „Der Cowboy ist mir wurscht.“ Michel Würthle spricht mit saftigem Wiener Akzent und der Ungeduld eines Mannes, der der selbst gerufenen Geister allmählich überdrüssig wird. Seit er sich für die Doppel-Ausstellung „Ein verlorener Haufen kehrt zurück“ in den Wiener Galerien Crone und Senn vom Fotografen Josef Fischnaller in Cowboy- und Indianer-Montur fotografieren ließ.

Und seit er dem uramerikanischen Filmgenre 120 Tuschezeichnungen widmete, die dort in Kombination mit Fotografien von Elfie Semotan und Malereien von Daniel Richter hängen, wollen alle erst recht immerzu mit ihm über Kuhhirten reden. Mit ihm, der Gastronomenlegende, dem Kunst- und Künstlerfreund, der in den Siebzigern erst im Kreuzberger „Exil“ und dann in der Charlottenburger „Paris Bar“ statt Stipendien Gratisschnitzel und Nestwärme an bedürftige Kreative ausgegeben hat. Selbst hier, in der Kantstraße, vor dem mit Arbeiten von Hirst über Baselitz bis zu Würthles Lebensfreund Martin Kippenberger geschmückten Edelbistro, wo der Patron die an seinen Tisch tretenden Stammgäste wahlweise in dem von der Mutter abgehorchten Italienisch, dem Französisch seiner Pariser Jahre oder dem Englisch eines selbstverständlichen Weltbürgers charmiert.

"Red River" oder "Johnny Guitar" waren seine Religion

„Die Empfindungen, die ich als Heranwachsender für diese Filme hatte, die haben mich interessiert“, erläutert Würthle seine comic-hafte, in ihrem rotzigen Wumms von der „Bad Painting“-Bewegung beeinflusste Hommage an den Western-Mythos. Für den Wiener Bürgersohn, der 1943 im Salzkammergut geboren wurde, waren die im Vorstadtkino stets von Reihe eins aus geschauten Filme wie „Red River“ und „Stage Coach“ mit John Wayne oder „Johnny Guitar“ mit Joan Crawford die reinste Religion. Dieses Kindheitsmuster verlangte dann auch nach Wien als Schauplatz seiner bislang größten Einzelausstellung.

Bohnen und Fluppen. Die comichaften Zeichnungen spielen mit den Codes des Genres (Ausschnitt).
Bohnen und Fluppen. Die comichaften Zeichnungen spielen mit den Codes des Genres (Ausschnitt).

© Zeichnung: Michel Würthle/Galerie Crone

„Die Landschaften, die Kleidung, die Bewegungen – das waren Codes, die wir Nachkriegsjungen entschlüsseln wollten.“ Stil, Haltung und damit die Romantik der Westernhelden rangierten dabei weit vor der Logik der Geschichten. Deren stereotype, häufig moralinsaure Inhalte waren Würthle letztlich so egal wie der harten Viehhirten-Job. Aber die Farben haben ihn fasziniert, „diese unglaubliche Künstlichkeit des Technicolors“ oder auch schon mal die Synchronisation der Berliner Firma Wenzel Lüdecke. Deren „piefkinesischen“ Dialogen in „Red River“ ist eine heitere Zeichnung gewidmet. „Kaffe schwarz und stark und süß – sweet wie die Sünde“, lässt sich John Wayne da in einer Szene von einer „Määm“ einschenken. Und das phonetisch auf einem berlinisch offenen „Ö“ endende Wort „Kaffe“ klingt in den Ohren von jung Würthle wie eine interessante Überhöhung.

Der klassische Western hat schließlich alle gekriegt. Seine ritualisierte Filmsprache und die immer gleichen Motive des Pionierlebens zwischen landschaftlicher Weite und zivilisatorische Enge, der Machismen des Taxierens und Duellierens, des Kampfs zwischen Gut und Böse, der Diffamierung oder Heroisierung von Ureinwohnern und Outcasts haben nicht nur Würthles Generation geprägt. Im Kino lässt sich das gerade am Drama „Western“ von Valeska Grisebach ablesen und ein paar Jahre zuvor an „Gold“, einem Neo-Western von Thomas Arslan – um nur zwei neuere Beispiele von Berliner Regisseuren zu nennen, die Kinder der sechziger Jahre sind.

Eine Zigarette nach der anderen steigt als Rauchzeichen auf

Was den distinguierten Herrn Würthle von heute angeht, der schon mal als reuiger Steuersünder verurteilt wurde, scheinen zumindest seine sonore Stimme, die Kunstpausen und der Tabakkonsum direkt aus dem Western zu stammen. Eine „American Spirit“ nach der anderen steigt als Rauchzeichen in den Himmel auf, stets hoffnungsvoll entzündet und melancholisch ausgedrückt. Sie einfach in den Straßenstaub zu schnippen, wie weiland in Dodge City vorm Saloon, geht als Gastwirt ja nun nicht.

Ehre der Apachen. Native Americans waren früher als Indianer bekannt (Ausschnitt).
Ehre der Apachen. Native Americans waren früher als Indianer bekannt (Ausschnitt).

© Zeichung: Michel Würthle/Galerie Crone

Bis nach Hamburg ist Würthle so um 1960 herum getrampt, um eine der begehrten Levis-Jeans zu erstehen. Und wie er da so sitzt im weißen Hemd, die dunkelblaue Anzugjacke mit dem Einstecktuch lässig über die Stuhllehne gehängt, leuchtet es unmittelbar ein, dass ihm einst auch der formvollendete Filmkomiker Theo Lingen ein Idol war. „Dieser Anti-Dandy-Dandy“, nennt Würthle ihn.

Ein Macho will er – entgegen anderslautenden Gerüchten – niemals gewesen sein. Die seien im Western am Ende immer nur tot. „Ich war höchstens ein Machito, so wie alle Rotzbuben.“ Aber ein Poser, das schon. Würthle lacht. „73 Jahre Posing“, sagt er mit Blick auf sein Lebensalter und wird plötzlich ernst. „Aber vor mir selbst habe ich nie posiert, das ist der grundlegende Unterschied.“

Das hat ihn damals, im Alter von 20 Jahren, ein halbes Jahr vor dem Abschluss als akademischer Maler auch dazu getrieben, die Wiener Kunstakademie zu verlassen. „20 Jahre leiden, um als Künstler anerkannt zu werden, noch dazu in Wien – das war keine Option.“ Da ist er lieber als Glückssucher erst nach Paris und dann 1970 nach Berlin gegangen. Die Stadt kam ihm vor wie eine Pionierstadt im Western. „Keine Autos, keine Menschen.“ Und aufs Land fahren wie in Wien oder Paris konnte keiner, was den Städter sehr erleichtert hat. Zusammen mit dem Poeten Oswald und der Malerin Ingrid Wiener eröffnete er als erste Künstlerkneipe das „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer.

Zwei Desperados am Rinnstein - Falco und er

Hier am Landwehrkanal empfängt Michel Würthle ein paar Tage später zu einem weiteren Gespräch. Die Wohnung ist ein Labyrinth aus Kunst, Kram, Klamotten und Kachelöfen. Der Wirt, der seit 1994 auch wieder ein Ausstellungen beschickender Zeichner ist und als solcher „einer der ehrgeizigsten Jungkünstler, die ich kenne“, ist seit sechs Uhr auf. Die Frühe war schon immer seine Freundin. „The Sun Seekers on Kant Street – will be rewarded soon by the rising sun“, hat er über ein unscharfes Foto in der Ausstellung geschrieben. Es zeigt zwei angeschickerte Desperados, die plaudernd am Rinnstein sitzen. Der eine ist Würthle, der andere Falco. Fundstücke wie dieses, Prosapoesie, Zeichnungen und Zeitungsausschnitte fügen sich zu einer Collage von Würthles Westernwelt.

Revolverlady. Zeichung zu "Johnny Guitar" mit Joan Crawford, einem seiner Lieblingswestern (Ausschnitt).
Revolverlady. Zeichung zu "Johnny Guitar" mit Joan Crawford, einem seiner Lieblingswestern (Ausschnitt).

© Zeichnung: Michel Würthle/Galerie Crone

Unten vorm Balkon schippern Dampfer vorbei. Ein Glas Weißwein, die Zigaretten und dann ein Nescafé – das wird das Frühstück sein. Daheim spart Würthle das Einstecktuch und die Geschichtenerzählerpose ein und wird, was er ist, ein verschmitzter alter Mann, der sich für seine Arbeit ganz schlicht auch Anerkennung von künstlerischer Seite wünscht. Wo steht denn auch geschrieben, dass die Suche nach Form und Ausdruck und Selbsterkenntnis irgendwann zu Ende ist? Und wo, dass ein Künstler nicht Kneipier sein darf? Zumal jedes gute Lokal, wenn es nach Würthle geht, Künstler als Gäste braucht.

Er schlägt den Katalog zum „Verlorenen Haufen“ auf und rezitiert eine Miniatur von Franz Kafka. „Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft …“ Es ist ein Text, der von der Sehnsucht nach Freiheit, Entgrenzung und dem Verschmelzen von Kreatur und Natur erzählt. Der alte Cowboy schweigt und raucht. Die Zeit steht still, obwohl die Küchenuhr tickt. Alles, was er mache, sei autobiografisch, befindet der Künstler. Das ist jetzt aber eine Binse, Herr Würthle! Auf einmal lacht der Lächler laut. „Und ich bin ein Binsenweisheitler.“

Bis 9. 9., Galerie Crone, Getreidemarkt 14, 1010 Wien. Bis 2. 9., Galerie Gabriele Senn, Schleifmühlgasse 1A, 1040 Wien.

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