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Mario Chromys „Family on the march“ von 2012 beschäftigt sich mit den Problemen der Roma-Minderheit in der Slowakei. 

© Zuzana Stibranyiova/KBH

Migration und Kunst: Nur wer zuhört, kann verstehen

In der Slowakei gibt es kaum Migranten – aber eine starke Abschottungsbewegung. Jetzt setzt sich die Kunsthalle Bratislava mit der Angst vor dem Fremden auseinander.

Ein paar Striche reichen dem Künstler Dan Perjovschi aus, um die irrationale Angst vor dem Fremden auf den Punkt zu bringen. Ein Männchen trägt ein Kind auf dem Rücken: „Realität“, steht darüber. Eine zweite Figur trägt eine Bombe. Dort steht: „Angst“. Flüchtlinge als Bedrohung, als versteckte IS-Kämpfer und Terroristen – so werden sie auch in der Slowakei wahrgenommen. Bei den Parlamentswahlen Mitte März war die Abschottungspolitik für den wiedergewählten Ministerpräsidenten Robert Fico das bestimmende Thema. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Bratislava mit internationalen Künstlern verhandelt nun offensiv die zunehmend fremdenfeindliche Stimmung im Land. „Angst vor dem Unbekannten“ heißt die Schau. „Wir rechnen mit Problemen, wissen aber nicht genau, wie sie aussehen“, sagt Chefkurator Richard Gregor. Das Kulturministerium könnte reagieren, zornige Schläger könnten auf den Plan treten. Im Vorfeld der Ausstellung ließen die Ausstellungsmacher extreme Vorsicht walten. Es gab vor der Eröffnung weder Plakate noch Werbung in der Stadt.

Die Slowakei ist eines der beiden Länder, die im Dezember beim Europäischen Gerichtshof gegen die von der EU beschlossene Flüchtlingsquote klagten. Premierminister Fico war dabei sogar schneller als sein ungarischer Amtskollege Victor Orbán. Das Urteil des Gerichts steht noch aus. Der Künstler Radovan Cerevka hat den Prozessverlauf in einer Serie von Pastellzeichnungen schon mal vorausgedacht. Bei ihm gewinnt die Slowakei gegen die EU – und baut einen Zaun ums eigene Land. In einer Zeichnung sieht man den stolzen Robert Fico an einem Rednerpult, darüber ein Bild seines abgeschotteten Landes. Ein Witz. Eine Satire. So war es vom Künstler gedacht. Inzwischen wurde Cerevkas Fiktion allerdings Realität. Als Übung für den Ernstfall ließ der Ministerpräsident Anfang März in einem Vorort von Bratislava tatsächlich mehrere hundert Meter Absperrzaun aufstellen. „Es ist eigentlich gar nicht mehr möglich, zu übertreiben“, sagt die slowakische Kuratorin Lenka Kukurová.

„Glück ist eine Entscheidung“ lautet die Übersetzung des Spruchs, den die Künstlergruppe Nová vecnost an einem Nachbau des KZ-Tors von Auschwitz angebracht hat. Im Rahmen einer Performance wurde es vor einem Flüchtlingsheim installiert.
„Glück ist eine Entscheidung“ lautet die Übersetzung des Spruchs, den die Künstlergruppe Nová vecnost an einem Nachbau des KZ-Tors von Auschwitz angebracht hat. Im Rahmen einer Performance wurde es vor einem Flüchtlingsheim installiert.

© Zuzana Stibranyiova/KBH

Kukurová, die derzeit in Leipzig lebt und dort an der Galerie für Zeitgenössische Kunst arbeitet, will mit der Ausstellung vor allem einen Dialog anstoßen, ohne Schwarz-Weiß-Malerei. „Um Provokation geht es nicht“, sagt sie. Kukurová hat Künstler aus der Slowakei, aus Tschechien, Polen, Rumänien, Österreich und Deutschland versammelt. Was die lange abgeschottete Kunstszene der Slowakei immer noch dringend braucht, ist Austausch. Kukurová hat bewusst Künstler angesprochen, die sich schon länger mit Migration und Flüchtlingen beschäftigen. Der in Serbien geborene und in Bratislava lebende Künstler Ján Triaska malte 2013 aus Verärgerung über das faschistische Auftreten des slowakischen Politikers Marian Kotleba ein Porträt des Mannes – mit Schweineblut. Heute ist Kotleba, der gegen Flüchtlinge und Roma hetzt, Mitglied im slowakischen Parlament. Seine rechtsextreme Partei „Neue Slowakei“ erhielt bei den Wahlen acht Prozent. Das kleine Schweineblut-Bild könnte nun zum Politikum werden. „Ich könnte Ihnen leicht sagen, wie man in Wien mit Kunst provoziert oder wie man die katholische Bevölkerung in Polen aufregt. Aber für die Slowakei kann ich das nicht benennen“, sagt Juraj Carný, der die Kunsthalle Bratislava leitet.

Bis vor Kurzem waren Flüchtlinge in der Slowakei kein Thema. Das änderte sich schlagartig ab Sommer 2015, ebenso das Verhältnis zur EU. Davon berichten Gäste am Rand der Ausstellung. Viele Besucher sind ins Dom Umenia gekommen, ins Haus der Kunst, in dem sich die Räume der vor zwei Jahren gegründeten Kunsthalle befinden. Viele Slowaken seien EU-müde, genervt vom „Brüssel- Diktat“, heißt es. Deutschland, der größten Handelspartner der Slowakei, wird jetzt oft als Land am Abgrund dargestellt. Das Goethe-Institut in Bratislava tritt als Unterstützer der Ausstellung auf. Man hofft, dass die Kunstbetrachter die Aufnahmen von Pegida-Demonstranten in Deutschland, die der polnische Künstler und Provokateur Artur Zmijewski unkommentiert zeigt, nicht als alleinige Wahrheit sehen.

2015 wurden weniger als 20 Asylanträge in der Slowakei bewilligt

Was der Ausstellung am Eröffnungsabend fehlt, sind die Asylbewerber selbst. In der Slowakei gibt es kaum welche. Medienberichten zufolge wurden im Jahr 2015 etwa 150 Asylanträge gestellt. Weniger als 20 wurden gewährt. „In der Slowakei haben Flüchtlinge fast keine Chance, Asyl zu bekommen“, bestätigt der Politikwissenschaftler Radoslav Štefancík. Faisal aus Afghanistan hat es trotzdem geschafft. Der junge Mann hat eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr. In Deutschland, wo seine Brüder leben, durfte er nicht bleiben. Nun lebt er allein in der Slowakei. Er, die 22-jährige Naima aus Somalia und einige weitere Geflüchtete sollen als Guides durch die Ausstellung führen, über die Kunst diskutieren, aus ihrem Leben erzählen. Auch Stadtführungen und gemeinsame Abendessen sind geplant.

Slowaken und Flüchtlinge sollen sich begegnen, so will es die Künstlerin Daniela Krajová. Von ihr ist eine Videoanimation zu sehen, die den Alltag im Flüchtlingsheim in Form eines Slowakisch- Sprachkurses erklärt. Krajová arbeitet seit vielen Jahren mit den Bewohnern im Flüchtlingsheim Gabcikovo. Auch Faisal hat sie dort kennengelernt.

Oto Hudec bei der Arbeit.
Oto Hudec bei der Arbeit.

© HKB

„Im Kommunismus war Migration, also Migration in den Westen, ein Symbol dafür, dass das System nicht funktioniert. Migranten wurden als Feinde der kommunistischen Gesellschaft deklariert. Darüber durfte man gar nicht sprechen. Der Migrant als Feind, das hat bis heute Spuren hinterlassen“, erklärt Radoslav Štefancík.

Mit partizipativen Arbeiten versucht die Ausstellung Empathie mit Geflüchteten zu erzeugen. Lukas Houdek hat einen Container aufgestellt, in dem ein illegaler Flüchtlingstransport simuliert wird und Ausstellungsbesucher für unbestimmte Zeit im Dunkeln eingeschlossen werden. Es gibt Fotos von wartenden Menschen an Grenzübergängen, die von Besuchern kommentiert werden können. „In Deutschland hätte ich manche Arbeiten nicht gezeigt, aber die Ausstellung ist für das slowakische Publikum“, sagt Kukurová. Offensiv ist die Ausstellung an vielen Stellen trotzdem. Und grade wenn unerwartete historische Verbindungslinien aufgezeigt werden, ist sie besonders gut. In einer Videoinstallation von Anna Witt erzählen sich eine Frau, die aus der DDR geflüchtet ist, und ein junger Ägypter, der mit einem Boot übers Mittelmeer kam, ihre Fluchtgeschichten.

Auch in Bratislava spüren Künstler den Gentrifizierungs-Druck

Die breite Öffentlichkeit in der Slowakei ist an zeitgenössische Kunst nicht gewöhnt“, sagt Kunsthallen-Direktor Carný. Die Kunstszene in Bratislava ist klein, aber lebendig. Es gibt einige international tätige Galerien, Projekte vom Urban Gardening bis zur ehemaligen Markthalle, die von Künstlern und Kreativen in Eigenregie zum Treffpunkt für kulinarisch interessierte Hipster verwandelt wurde. Auch Gentrifizierungstendenzen sind in der 500 000-Einwohner-Stadt zu spüren. Eine ehemalige Kabelfabrik unweit des Busbahnhofs, in der Künstler, Designer und Musiker für erschwingliche Preise ihre Studios eingerichtet haben, wurde an einen finnischen Investor verkauft. Der Künstler Oto Hudec, 34 Jahre alt, wird deshalb wohl bald nach Košice ziehen, eine Stadt im Osten des Landes. Dort sind die Mieten günstiger, der Nationalismus ausgeprägter. Hudec hat in der Kunsthalle eine Installation gebaut, die hinter einem Bretterzaun steht. Das Ausstellungspersonal ist angewiesen, manche Besucher durchzulassen, andere wiederum ohne Grund abzuweisen.

Kunsthalle Bratislava, bis 31. Juli, weitere Infos: www.kunsthallebratislava.sk

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