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Kultur: Millionenspiel

Uraufführung II: Matthias Zschokke in Genf

Fürst, ein reicher Freund aus jugendlicheren Tagen, hat sich in Saarbrücken erfolgreich etabliert, aber, wie es eben denen, die nach landläufiger Meinung das große Los gezogen haben, so ergeht: „Etwas fehlt“. Mit seiner Haushälterin Kathi als Begleiterin erhofft er sich von einer Reise nach Berlin das Glück unerwarteter, überraschender Erlebnisse, „bei denen das Schicksal die Pferde wechselt, wie Byron sagt“.

Seinem seit Jahren in Berlin glücklos auf Luftschlösser und andere tolle Projekte spezialisierten Jugendfreund Friedrich kündigt Fürst seinen Besuch an. Kathi bleibt lieber in Saarbrücken, sie will die Ruhe der leeren Villa genießen, in Wirklichkeit aber ein paar glückliche Stunden mit dem jungen Gigolo Calvin verbringen. Der ist seinerseits für einige Tage, erschöpft vom Großstadttempo und den Powerfrauen, ins heimatliche Saarbrücken zurückgekehrt. In Berlin hat unterdessen Friedrich, assistiert von seiner Verlobten Friederike, keine Mühe gescheut, dem reichen Freund etwas zu bieten, „gesellschaftliche Schwergewichte“ aufgefahren in Gestalt des Schauspielers Harald, der einen reputierten Historiker verkörpert, und von Doktor Kurz, der zu einer Kapazität der Schönheitschirugie aufgemöbelt wird. Der reiche Gast soll als Investor, als Förderer für eines der Projekte des Architekten gewonnen werden.

Matthias Zschokke, der in Berlin lebende Schweizer Autor, hat den bösen und auch gewitzten Blick für gestrandete Outsider, unscheinbar Glücklose, sympathisch Lebensuntüchtige oder kauzige Tunichtgute der Gegenwart. Es ist schändlich, dass keine deutsche Bühne, weil lieber mit Stücken eines verquasten Problemboulevards beschäftigt, sich hauptsächlich aber an Klassikern im Discofieber mit viel Theaterblut, Dosenbier und echtem Schweiß abarbeitend, die versponnenen, hellsichtigen, melancholisch-verklapsten Gesellschaftsgrotesken von Zschokke, wie „Die Exzentrischen“, „Die Alphabeten“ oder „Der reiche Freund“ nicht spielen.

Um „Die Einladung“ von Matthias Zschokke zu sehen, muss man nun nach Genf fahren, wo das Théâtre de Carouge, das seit 1960 die meisten Stücke Brechts in französischer Sprache zur Aufführung gebracht, das auch Heiner Müller, Kroetz, Manfred Karge und Botho Strauß gespielt hat, mit einer leichthin fließenden, aber nicht nur auf pointensichere Wirkung zielenden Aufführung dieser hintergründigen Groteske zu brillieren versteht. Da auch die leichtfüßigen Romane von Matthias Zschokke in französischer Übersetzung dort ihr Publikum finden, scheint der Sprachwitz und der ironisch gefärbte Humor des vorzugsweise über Berliner Befindlichkeiten schreibende Autor in der Suisse Romande verstanden und geschätzt zu werden.

Michel Kullmann hat die von Patricia Zurcher treffend übersetzte „Einladung“ durchaus mit Sinn auch für die existenziellen Abgründe, die sich in der Groteske abzeichnen, uraufgeführt. Alles Spiel bleibt jedoch bei den „Verbindlichkeiten“, auf die auch die theatralischen Energien von Autoren wie Feydeau, Courteline und Oscar Wilde in der Regel nur angelegt sind. Die Ästhetik solchen Theaters zitiert nicht das ganze Spektrum der zeitgenössischen Kunst, sie will lediglich unterhalten und nachdenklich machen.

Die „Einladung“ verläuft gründlich schief. Der Architekt Friedrich verheddert sich im Netz seines ambitionierten Projekts, Fürst durchschaut die Absicht und reist nach Saarbrücken zurück, betroffen von der Nachricht, dass sich seine Haushälterin „einfach so“ erschossen hat: „Sicher, das Wahre ist es nicht, dieses Leben, aber…“. Die Projekte-Macher in Berlin geben nicht auf, fast waren sie doch an ihrem Ziel, nur „eine winzige Prise Glück” fehlte ihnen.

Klaus Völker

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