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Netflix feuerte Kevin Spacey nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen den Hauptdarsteller aus der Serie „House of Cards“.

© David Giesbrecht/Sky/dpa

Missbrauch in Hollywood: Ende der Schonzeit

Die Enthüllungen um Harvey Weinstein und die darauffolgende Debatte haben Hollywood erschüttert. Ob zwischen Kunst und Künstler getrennt wird, ist dort jedoch vor allem eine wirtschaftliche Frage.

Von Andreas Busche

Anfang Dezember veröffentlichte das „Time Magazine“ eine Liste mit 107 Prominenten, die sich in diesem Jahr Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs ausgesetzt sahen, vom Hinterngrabschen bis zur Vergewaltigung. Eine Liste der Schande. Dass ein unverhältnismäßig hoher Anteil der Angeklagten aus der Filmbranche kommt, ist die traurige Pointe dieser Enthüllungswelle nach den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein, die mit dem Hashtag „MeToo“ nach Jahrzehnten des Ignorierens endlich ein Forum fanden.

Die langfristigen Konsequenzen des „Weinstein-Skandals“, der in Wahrheit ein Verbrechen ist, sind für die Filmindustrie noch nicht absehbar. Zu tief sitzt der Schock der Selbsterkenntnis, dass in Hollywood, wo man sich stets im Zentrum des amerikanischen Liberalismus verortet hatte, eine hochgradig restriktive Kultur des Schweigens herrschte. Diese Realisierung wirft auch ein neues Licht auf die seit Jahren andauernden Debatten um kulturelle Diversität, von „Oscarssowhite“ bis „Whitewashing“-Vorwürfen. Ein Problem dieser Schweigekultur ist nicht zuletzt die Dominanz weißer Männer – wie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Zu lange fehlte der Filmbranche ein Maß an Eigenkontrolle, die Homogenität des Betriebs suggerierte, dass das Selbstverständnis einer Mehrheit automatisch als Verhaltenskodex akzeptabel sei. Der alte Vorwurf, Hollywood existiere in einer sozialen Blase, die nichts mit der Realität zu tun habe – er ist dank Weinstein & Co kaum mehr aufrechtzuerhalten.

Das Publikum bekommt die Folgen zu spüren

Welch gravierendem Trugschluss die Filmindustrie hier aufgesessen ist, wird das Publikum schon bald merken. Im Februar kommt „Alles Geld der Welt“ von Ridley Scott in die deutschen Kinos – ohne seinen Hauptdarsteller Kevin Spacey, der nach den massiven Vorwürfen durch Christopher Plummer ersetzt wurde. Die letzte Staffel der Netflix-Serie „House of Cards“ muss ebenfalls ohne Spacey auskommen, wie auch Amazons „Transparent“ zukünftig auf Jeffrey Tambor verzichten wird. Er wurde fast zeitgleich mit Amazon-Studioboss Roy Price gefeuert. Wenn den Enthüllungen der vergangenen drei Monate überhaupt etwas Positives abzugewinnen ist, dann dies: Zukünftig wird niemand mehr von Missbrauchsvorwürfen verschont bleiben, keine Machtposition schützt vor Ahndung. Auch das ist ein Erfolg der „MeToo“-Debatte.

Der „Süddeutschen Zeitung“ gab Ridley Scott Ende Dezember ein aufschlussreiches Interview, das einiges über die Befindlichkeiten in Hollywood verrät. Scott erklärt, dass er grundsätzlich zwischen dem Künstler und seiner Kunst trenne – was seit den Enthüllungen um Kevin Spacey nicht mehr so einfach sei. Auch deswegen habe er ihn aus seinem Film entfernt. Überrascht hätten ihn die Enthüllungen dagegen keineswegs. Das Interview ist insofern interessant, als mit dem 80-jährigen Scott, der sich in seiner Karriere nicht gerade als Frauen-Regisseur hervorgetan hat, jemand aus dem Herzen der „alten“ Filmindustrie spricht. Weinstein und seine Getreuen, Ben Affleck, der ebenfalls in der „Time“-Liste auftaucht, und Matt Damon, der Enthüllungen über seinen Freund Harvey schon einmal verhindert hatte, gehören zur „Sundance-Ära“ der neunziger Jahre, in der das unabhängige Kino Hollywood dominierte.

Ahndung von Missbrauch ist keine Hexenjagd

Ob man den Künstler von seiner Kunst trennen kann, ist in der Unterhaltungsindustrie weniger eine moralische, sondern in erster Linie eine ökonomische Frage. Die Entfernung von Kevin Spacey aus einem bereits abgedrehten Film, die Beurlaubung von John Lasseter im Familienunterhaltungskonzern Disney, der Rückzug des jüngsten Films von Louis C.K. und die Entlassung des Produzenten Brett Ratner („The Revenant“) folgen zunächst knallharten wirtschaftlichen Erwägungen. In Zeiten von Twitter und Facebook stehen Unternehmen verstärkt unter öffentlicher Beobachtung, das Image der Marke ist das größte Kapital.

Auch darum wurde in den vergangenen Monaten in konservativen Kreisen immer wieder von einer politisch-korrekten „Hexenjagd“ gesprochen. McCarthys Kommunistenhatz in den Fünfzigern gilt bis heute als düsterstes Kapitel in der Geschichte Hollywoods. Die Warnung ist berechtigt, juristisch liegen Welten zwischen den Vorwürfen gegen Weinstein oder Spacey und den „unangemessenen Avancen“ von Lasseter. Vor einem Gericht verurteilt wurde bislang niemand. Doch es gibt einen maßgeblichen Unterschied zu McCarthys „Hexenjagd“: Keiner der hier Beschuldigten steht grundlos im Licht der Öffentlichkeit. Die Tatsache, dass Regisseur Bryan Singer nur drei Jahre nach den letzten Vorwürfen gegen ihn erneut in der „Time“-Liste auftaucht, sollte nachdenklich stimmen.

Keine Ausreden aus dieser Krise

Moralisch betrachtet sind die Anschuldigungen gegen Weinstein und die Unkultur der sexuellen Übergriffigkeit lediglich zwei Seiten derselben Medaille. Sie werden begünstigt durch die Machtverhältnisse. Nun ist Hollywood keine Moralanstalt. Aber wie alle Unternehmen sind auch die Filmstudios Compliance-Regeln verpflichtet. Mit ein paar bedauernden Worten ist es jetzt nicht mehr getan. Im März gibt es die erste Bewährungsprobe, dann werden in Los Angeles zum 90. Mal die Oscars verliehen. Aus dieser Krise kann Hollywood sich nicht so leicht rausreden.

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