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Kultur: Mit allen Wassern gewaschen

Paddelboote im Volkspalast: das Berliner Performanceprojekt „Fassaden-Republik“

Matthias Lilienthal hat die Schuhe schon ausgezogen und watet durchs knietiefe Wasser. Wir anderen dürfen das nicht: Die Plastikfolie, mit der das Eingangsfoyer des Palasts der Republik ausgeschlagen ist, ist empfindlich. 230000 Liter Wasser könnten im Nu versickern. Damen mit hochhackigen Schuhen bekommen Ersatzschuhe gestellt – um auch die Gummiboote zu schonen. Dann geht es los: Wahlweise darf man sich per Schlauchboot durch den verschlungenen Parcours ziehen lassen, Erklärungen des „Touristenführers“ inbegriffen. Oder man lässt sich selbst zum Gondoliere ausbilden, eine Art Taxischein, der als einzige Kenntnis das einigermaßen melodische Absingen von „O sole mio“ erfordert. Gondolieri haben den Vorteil, dass sie 30 Minuten länger im Spiel bleiben dürfen – alle anderen müssen nach 45 Minuten den Palast verlassen, die englischsprachige Ordnungskraft ist da streng.

Die Restriktion ist begründet: Die ersten Veranstaltungen der „Fassaden-Republik“ sind ausverkauft, erst ab Mitte nächster Woche sind wieder Karten zu haben. Der restlos entkernte Palast der Republik, der seit Mitte August ein temporäres Ersatzleben führt, erweist sich erneut als Besuchermagnet. Das recht hochtönende Konzept der Betreiber, der an der TU Berlin beheimateten Architekten-Vereinigungen „Raumlabor Berlin“ und der „Peanutz Architekten“, die Funktionen von öffentlichem speziell politischem Raum in Berlin widerspiegeln wollen, verblasst vor dem bloßen Eventcharakter der „Fassaden-Republik“. Die Besucher regredieren zu großen Kindern, die hingebungsvoll plantschen und spielen.

Dabei sind die einzelnen Stationen des Parcours am historischen Ort verankert. Im „Parlament“ zum Beispiel diskutiert man – mit spitzen Zeitungshüten versehen – über den Abriss und Neubau verschiedener Fassaden, benennt Wasserstraßen in „Rattenkanal“ um oder veralbert die Anträge der Opposition. Die „Akademie“, in der im Schnellverfahren Architekten zum Umbau der Stadt ausgebildet werden sollten, musste leider kurzfristig abgesagt werden: Die Baupolizei fand die Akademie-Stätte nicht sicher genug. Aber da gibt es immer noch die grasbewachsene „Liebesinsel“, auf der sich Paare in den Armen liegen können (das Gras allerdings ist nass, wie alles an diesem Abend). In der „Ahnenstation“, lässt sich ein neuer Familienstammbaum frisieren, die ganz Hungrigen können „SushiAngeln“, drei Minuten für drei Euro, obwohl das für einen Fang meist nicht reicht, und im Offenen Kanal kommen künftige Journalisten zu Wort.

Das echte Parlament allerdings ist über das bunte Treiben am Schlossplatz not amused. Am Morgen erst hatte Antje Vollmer bei ihrer Halbzeitbilanz rot-grüner Kulturpolitik wiederholt auf den Bundestagsbeschluss zur Schlossplatzbebauung verwiesen und betont, dass am Abriss der Palastruine 2005 nicht zu rütteln sei. Die „Fassadenrepublikaner“ reagieren auf ihre Weise: Urspünglich sollte Vollmer neben weiteren Palastgegnern wie Wolfgang Thierse und dem kürzlich verstorbenen Günter Rexrodt als Schießbudenfigur gezeigt werden – das wurde bei Letzterem dann doch als pietätslos empfunden. Nun hängen Sissi und Kaiser Franz Joseph an der Wand, und der Kaiser trägt stolz ein „Pro Schloss“-Schild.

Sicher: Eventkultur, so Antje Vollmer, ist die teuerste Kultur überhaupt, die temporäre Herrichtung hipper Locations frisst Gelder, die den klassischen Kulturinstitutionen fehlen. Das gilt auch hier: Gelder des Hauptstadtkulturfonds, die der Staatsoper für ein nun doch nicht realisiertes Palastprojekt zugesagt waren, können den Palastrepublikanern zugute kommen. Ansonsten, so Amelie Deuflhard von den Sophiensälen, neben Matthias Lilienthal und dem Architekten Philipp Oswalt künstlerische Leiterin der Zwischennutzung, spielt man auf Zeit – und hofft auf die Überzeugungskraft der Schlange. Das MoMA grüßt von fern.

Der Misere am Schlossplatz kann diese Herbstsaison nur gut tun. Zwischen Bauakademie-Attrappe, künftiger Wirtschaftshochschule im Staatsratsgebäude, Parkplatz und Museumsinsel-Baustelle haben in der Vergangenheit schon Waschmaschinen und Beachvolleyballfelder, Imbissbuden und Weihnachtsmärkte Platz gefunden. Und solange über Finanzierung und Nutzungskonzepte für den Schlossplatz Uneinigkeit herrscht, ist das Signal, das von der ZwischennutzungsInitiative ausgeht, nicht die schlechteste Werbung für die Stadt. Eine fantasievolle, bewegliche Kulturszene, die sich auch vor dem spielerischen, vielleicht kindischen Event nicht scheut, ist international das stärkste Pfund, mit dem das finanzschwache Berlin derzeit wuchern kann.

Die Hochkultur mit ihren Millionenbesuchermassen beim MoMA-Gastspiel und die augenzwinkernde Vergangenheitsbewältigung am Schlossplatz: eine glitzernde Fassadenrepublik, erbaut auf flachem Wasser.

Weitere Termine: 5. und 6. Sept., 20 Uhr, 8. und 9. Sept., 10 bis 14 Uhr und 10. und 11. Sept., 14 bis 18 Uhr. Eintritt 8/5 Euro. Ticket-Office Palast der Republik täglich 15 bis 18 Uhr, Tel. 030/ 20914680

Christina Tilmann

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